Das unsagbar Gute
den Nachbarn, als ob nichts wäre. Ich hab ihn sogar lachen gehört …«
»Was hast du erwartet? Der Mann ist Schauspieler, der weiß, wie man sich verstellt. Ebendieses supernatürliche Verhalten zeigt mir, dass der Brief gewirkt hat.«
»So, so, das zeigt es dir …«
»Ja, genau! Spar dir deinen Sarkasmus. Ich beobachte das Haus jetzt schon ein paar Tage. Es tut sich nichts Außergewöhnliches.«
»Aber das heißt doch nur, dass ihm der Brief völlig egal ist! Der geht ihm am Arsch vorbei!«
»Ich muss dich wirklich bitten, deine Ausdrucksweise zu mäßigen – das kommt alles aus dem Fernsehen, von diesen brutalen Serien, die du spätnachts immer anschaust …«
»Lenk nicht ab! Die ganze Idee war Blödsinn. Du liegst den ganzen Tag mit dem Feldstecher auf der Lauer, ich geh jeden Morgen zum SPAR . Zum Beobachten. Nur, weil der Leupold jeden Morgen dort ist und sich zwei Semmeln holt – ich weiß schon gar nicht mehr, was ich noch einkaufen soll, die Frau Sieber hat mich schon so komisch angeschaut, das ist doch krank, wegen zehn Deka Wurst und einer Packung Streichhölzer in den Supermarkt – ich will dir was sagen: Wir benehmen uns auffällig, nicht der Leupold!«
»Reg dich ab, die Kontrolle war nötig, weil wir doch nicht wissen konnten, ob er nicht etwa die Nerven wegwirft und irgendwas Unüberlegtes macht, abhauen oder so …«
»Und das hätt ich am Morgen um neun an seinen Einkäufen gemerkt?«
»Vielleicht. Vielleicht auch nur daran, dass er gar nicht auftaucht. Dann hätte ich sofort reagiert …«
»Wie denn?«
»Ich hätte angerufen.«
»Ach ja, angerufen? Das ist dein schlauer Plan? Das hättest du doch auch gleich machen können!«
»Eben nicht! Nach so einem Brief muss einer ein paar Tage dunsten. Außerdem können wir beobachten, ob er Besuch von der Polizei kriegt …«
»Wie willst du das wissen? Die kommen doch in Zivil.«
»Überleg doch! Ich habe eine Liste aller Besucher der Leupold-Villa. Außer dem Leupold selber und dem Briefträger war da nur dieser Typ mit Brille und Halbglatze, der … wie heißt er noch …«
»Nowak, Dr. Nowak. Der aufs Haus aufpassen soll, solang die Leupold verreist ist …«
»Und woher weißt du das? Aus dem SPAR ! Und du hast die Leute ja nicht ausgehorcht …«
»Nein, sie waren beide dort und haben es der Sieber erzählt, sehr freimütig.«
»Damit es ja alle mitkriegen, genau! In diesem sogenannten Dr. Nowak dürfen wir auch die Quelle des Geldes vermuten. Du glaubst ja wohl nicht, dass sich die Leupold das von ihrer Lehrerpension abgespart hat …«
»Was will der Nowak dann hier?«
»Keine Ahnung. Geld vermutlich. Das er hier deponiert hat. Das Manfredo gestohlen hat. Zum Beispiel. Jedenfalls werden wir uns davon unseren Teil abholen.«
»Wir wissen nicht, ob dieser Nowak nicht gefährlich ist …«
»Na und? Gefährlich sind wir auch.«
»Du meist die alte Luger von Papa?«
»Und die anderen Schätzchen. Und, bitte, was heißt alt? Das ist deutsche Wertarbeit. Und wir können damit umgehen. Du noch besser als ich, das gebe ich gern zu.«
»Also schön, da hast du wohl recht. Dumm kommen brauchen die uns nicht …«
»Das ist die richtige Einstellung! Lass mich nur machen. Ich warte jetzt noch ein paar Tage, dann ruf ich an.«
*
Jede chemische Synthese beginnt mit einer guten Planung. Für Dr. Nowak war das in Fleisch und Blut übergegangen und hatte sich auf sein Alltagsleben ausgewirkt. Jede Handlung, deren Komplexität über Kaffeekochen hinausging, begann für ihn mit einer guten Planung. Umso erstaunlicher war es nachher für ihn selbst, mit welcher Leichtigkeit und Sorglosigkeit er beim anstehenden Problem der Leichenbeseitigung die Manfredo’sche Manier des Durchwurstelns und Improvisierens angenommen hatte. Das konnte ja nur schiefgehen. Das heißt: Schiefgegangen im strengen, katastrophalen Sinn war es ja nicht, nur … aber der Reihe nach.
Dr. Nowak überließ Manfredo das, was dieser unter Vorbereitung verstand – Planung hätte es nicht einmal Manfredo selbst genannt. Was war schon dabei? Man fahre das Auto möglichst nahe an die Haustür, lege die aufgetaute Oma in den Kofferraum, und dann geht es los. Ach ja: Schaufel und Spitzhacke nicht vergessen. Beides gab es im Keller. Mit ein wenig gesundem Menschenverstand sollten diese einfachen Handlungen zu schaffen sein. Dr. Nowak trat in die zweite Reihe und ließ Manfredo – reden. Das tat der im Wortsinn, er kommentierte nämlich
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