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Das unsagbar Gute

Das unsagbar Gute

Titel: Das unsagbar Gute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mähr
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das gemeinsame Tun mit lauter Stimme. Wie bei einer Livereportage im Radio. »Jetzt fassen wir die Oma an den Füßen und unter den Achseln und tragen sie … Moment … zur Vordertür. Da legen wir sie erst einmal ab, sie ist immer noch erstaunlich schwer … so: Jetzt löschen wir das Licht im Treppenhaus, damit draußen nicht der Lichtschein verrät, wenn wir die Tür aufmachen …«
    »Zu Befehl«, sagte Dr. Nowak. Er konnte das einfach nicht unterdrücken. Manfredo spürte keine Ironie.
    »Jetzt öffnen wir die Tür«, fuhr er fort, »und dann …«
    »… machen wir den Kofferraum des zuvor bereitgestellten Audi A 3 auf«, fiel ihm Dr. Nowak ins Wort.
    »Aber zuvor«, sagte Manfredo, »überzeugen wir uns durcheinen raschen Rundumblick, ob nicht zufällige Zuschauer vorhanden sind.« Dank der fortgeschrittenen Stunde (22 Uhr 30) und der relativen Stadtrandlage der Leupold’schen Villa war das nicht der Fall.
    Als sie Frau Leupold endlich verstaut hatten, stieg Dr. Nowak auf der Fahrerseite ein, Manfredo akzeptierte das ohne Kommentar. »Wie hast du das gemeint mit den zufälligen Zuschauern? Es könnten doch auch nicht zufällige da sein, die absichtlich zuschauen, gewissermaßen …«
    Manfredo lachte auf. »Jetzt hör schon auf und fahr los!«
    Das tat Dr. Nowak.
    Es wäre für Manfredo günstiger gewesen, dem Einwand seines Compagnons ein wenig mehr Beachtung geschenkt zu haben. Und für Dr. Nowak selbst sowieso. Später schwor er, sich nie mehr von Manfredo auf diese Weise reinziehen zu lassen, viertausend Euro Vorschuss hin oder her. Es war einfach zu gefährlich. Er verstand auch nicht, wie er die lächerlichen »Vorbereitungen« Manfredos in einem Zustand halbsomnabuler Wurschtigkeit hatte akzeptieren können, als ob das laute Aufsagen dessen, was man gerade macht, etwas mit planvollem Handeln zu tun hätte!
    Nicht, dass Dr. Nowak oder Manfredo etwas passiert wäre. Nicht einmal dem Kater S. ist etwas passiert, jenem Tier, das wir, wie wir an dieser Stelle mit Erröten feststellen, volle drei Kapitel lang seinem Schicksal überlassen haben, ohne ihn auch nur ein einziges Mal zu erwähnen. Allerdings müssen wir zugeben, dass sich im Leben des Katers S., anders als im Leben Samis, keine besonderen Vorkommnisse ereignet haben. Er ging seinen Katergeschäften nach. In gehöriger Entfernung zur Leupold-Villa, die in seiner Erinnerung negativ konnotiert war; nicht nur wegen des Lärms, den die stürzende Frau Dr. Leupold verursacht hatte. Kater S. empfand – man verzeihe den Anthropomorphismus – ein gewisses Unbehagen bei derErinnerung an den Vorfall, den er ja ausgelöst hatte. Natürlich »denken« Katzen nicht in Kategorien von Schuld und Verantwortung, sie »denken« überhaupt nicht im menschlichen Sinne, weshalb jeder Versuch, ihr Inneres zu erforschen, zum Scheitern verurteilt ist. Katzenliebhaber hören es nicht gern, wahr bleibt es doch: Was uns am Verhalten der Katzen logisch vorkommt, sind unsere Interpretationen dieses Verhaltens, die uns glauben lassen, wir verstünden, wie die Katze tickt. Dem Tier ist das egal, und wir rühmen uns selber, welch tiefe Empathie für das Tier uns doch gegeben ist – bis die Katze etwas absolut Verrücktes macht, das nicht vorhergesehen ist und nicht interpretiert werden kann.
    So etwas Verrücktes unternahm der Kater S. an diesem Abend. Er kehrte zur Leupold-Villa zurück. Oder vielleicht war das gar nicht verrückt? Hatte er nur seinen Schock überwunden und versuchte erneut, die Frau Leupold aufzusuchen, um sie als neuen Menschen, also Katzengott, zu installieren? Wusste er denn nicht, dass sie tot war? Wir wollen nicht so weit gehen und von Kater S. die Einsicht verlangen, dass er sie umgebracht hat. Katzen bringen ihre Götter nicht um, auch wenn Kater S. denken könnte, wie wir denken – das käme ihm nicht in den Sinn. Seinen Gott zu morden ist ein menschlicher Einfall und menschliches Vorrecht und hängt wahrscheinlich mit diesem ganzen Erbsünde-Zeugs zusammen; aber weil das hier kein religionssoziologisches Seminar ist, lassen wir den Gedanken Gedanken sein und beschränken uns auf die schlichte Erkenntnis: Igorabimus. Wir werden nie wissen, wieso Kater S. genau in dem Augenblick vor dem Audi A 3 auftauchte, als Dr. Nowak auf der Zufahrtsstraße den dritten Gang einlegte und Gas gab. Kater S. lief quer durch den Scheinwerferkegel. Dr. Nowak gehörte nicht zu den Leuten, die sich ein »Ich bremse auch für Tiere«-Schild an die

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