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Das unsagbar Gute

Das unsagbar Gute

Titel: Das unsagbar Gute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mähr
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Heckscheibe kleben – und er bremste auch nicht. Weil er aber zu jenen Leuten gehörte, die eineKatze trotz ihres im Xenonlicht besonders deutlich urinsteingelben Fells nicht einfach überfahren, verriss er den Wagen und fuhr über den unbefestigten Rand der Straße ins Dunkel. Etwa einen halben Meter weit. Dann veranlasste ihn der Aufprall einer Masse, die deutlich schwerer war als die einer Katze, doch noch zum Bremsen, das nutzte aber auch nichts mehr, weil die Masse über das Auto weg nach hinten flog und mit einem eigentümlich feuchten Geräusch auf dem Asphalt aufschlug.
    »Du hast die Katze überfahren!«, schrie Manfredo.
    »Das war keine Katze«, sagte Dr. Nowak, der sich wunderte, dass er so ruhig blieb. Als ob ihn das Ganze nichts anginge. »Hast du eine Taschenlampe?«
    »Im Handschuhfach.«
    »Dann nimm sie raus.«
    Manfredo tat, wie ihm geheißen, nur tat er es sehr langsam. Wir sind beide nicht auf der Höhe, dachte Dr. Nowak, was frag ich nach einer Taschenlampe, ich hab ja vor zwei Minuten selber zwei unter dem Sitz verstaut … ist das der Schock? Vielleicht verzögert. Verzögerung können wir uns aber nicht leisten. Er stieg aus. Manfredo folgte mit der Taschenlampe.
    »Das ist keine Katze«, sagte er dann mit leiser Stimme. Es klang ein bisschen weinerlich. »Wo ist die Katze? Hast du sie nicht überfahren?«
    »Hab ich nicht. Ich bin ihr ausgewichen. Deshalb ist das ja …«
    »Was ist das?«, unterbrach Manfredo.
    »Ein Mensch. Ein Mann.« Dr. Nowak leuchtete die Szene aus. Der Mann lag auf seiner linken Seite, das Gesicht der Straße zugewandt, das rechte Bein halb angezogen. Dr. Nowak spürte, wie er für einen Moment den Kontakt zur Wirklichkeit verlor. Was war das hier? Ein Traum? Oder irgendwas Gestelltes mit versteckter Kamera? Man nannte das »stabile Seitenlage«.Als hätte schon jemand erste Hilfe geleistet; man machte das bei Bewusstlosen, damit sie nicht an ihrer Zunge ersticken. Aber da war ja niemand sonst. Ein verdammter Zufall. Und unnütz. Die stabile Seitenlage bewahrte den Menschen nicht vor dem Ersticken.
    Er war schon tot. Dr. Nowak stellte es fest, als er ihm zwei Finger an die Karotis legte. Kein Puls.
    »Fass an!«
    Manfredo packte das eine Bein des Toten, Dr. Nowak das andere. Sie schleiften ihn zum Auto. Heckklappe auf, dann ein ziemliches Gewürge. Sie waren beide schon erschöpft vom Transport der Frau Dr. Leupold, der Unbekannte wog viel mehr. Sie mussten den Deckel offen lassen, Frau Leupold nahm zu viel Raum ein, die Beine des neuen Opfers hingen über die Ladekante heraus, für zwei Tote war der Kofferraum des A 3 zu klein. Die beiden Lebenden keuchten wie nach einem anstrengenden Lauf.
    »Du treibst auch keinen Sport«, sagte Dr. Nowak.
    Manfredo schüttelte den Kopf. Er schlich um das Heck herum und ließ sich schwer auf den Beifahrersitz fallen. Auch der Chemiker stieg ein. Er wendete und fuhr zur Villa zurück. Manfredo protestierte nicht.
    »Hast du die Katze wirklich nicht getroffen, so in der Luft vielleicht? Die sind unheimlich zäh und können auch nach schweren Verletzungen noch wegrennen.«
    »Es gab nur einen Schlag, nicht zwei. Glaub mir, der Katze ist nichts passiert. Ich bin auch ein bisschen erstaunt über deine Prioritäten. Wegen einer Katze machst du ein Getue – dass wir einen Menschen überfahren haben, scheint dich nicht zu stören.«
    »Das war ein Unfall, okay? Unfälle kommen vor. Die Katze zu überfahren wäre etwas völlig anderes gewesen. Eine … eine Gemeinheit.«
    Dr. Nowak hielt den Wagen an. »Ich fass es nicht! Eine Gemeinheit, wenn ich eine Katze überfahre? Mensch, ich hab grade jemanden umgebracht!«
    Manfredo hob beschwichtigend die Hände. »Aber Romuald, du kannst doch nichts dafür. Du hast ihn doch nicht mit Absicht überfahren …«
    »Natürlich nicht!«
    »Eben. Wenn du dagegen die Katze überfahren hättest, dann hättest du ihren Tod oder schwere Verletzungen billigend in Kauf genommen, das wäre verwerflich gewesen.«
    Dr. Nowak fuhr weiter. Manfredo dirigierte ihn ums Haus herum. Dort hielten sie vor einem niederen Anbau.
    »Was ist das?«
    »Ein Geräteschuppen oder so was Ähnliches. Oma hat ihn letztes Jahr ausgeräumt, das ganze Gerümpel zum Sperrmüll gegeben. Jetzt ist er leer und wir können ihn als Garage verwenden. Ich hol die Schlüssel zum Tor, du kannst inzwischen umdrehen …«
    »Umdrehen?«
    »Zum rückwärts Reinfahren.« Manfredo verschwand. Bald darauf knarrten die Torangeln, als

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