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Das unsagbar Gute

Das unsagbar Gute

Titel: Das unsagbar Gute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mähr
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sonst hätte er sie nicht geheiratet. Und wenn er seine früheren Freundinnen Revue passieren ließ – da fängt es ja schon an, was heißt hier, bitte, Revue ; unter Revue passieren lassen stellt man sich einen Laufsteg vor, wo sie an einem vorbeischreiten, eine nach der anderen, darauf kommt es an, damit man sie auseinanderhalten kann; eine Revue ist eine Reihe, es sind also so viele, dass man den Überblick verliert, wenn sie alle auf einem Haufen stehen … Der Ausdruck war unangebracht, von wegen Haufen – die konnte er mit einem Blick erfassen, dazu musste er keine Reihung aufstellen. Er erinnerte sich an jede, und bei keiner hatte er sich richtig ausgekannt, wenn man mangelndes Sich-Auskennen als Begründung für Scheitern nehmen will.
    Es war ernüchternd, sich die Sache unter diesem Aspekt klarzumachen. Aber, das sollte man dann doch auch festhalten: Keine hatte sich so betragen wie die Frau Dr. Rhomberg.In keiner Anfangsphase. Er schien ihr zu gefallen … ach, Blödsinn, was soll diese bedenkenträgerische Vorsicht? Er gefiel ihr! Punkt, aus. Gefiel sie ihm? Ist der Papst katholisch? – Mit ihrem Verhalten kannte er sich, wie er zugeben musste, wieder nicht aus, aber vielleicht kam es ja darauf gar nicht an; vielleicht lag der Fokus der Sache woanders, nicht beim Auskennen oder Nicht-Auskennen.
    Und natürlich konnte alles ganz anders sein, dachte er. Als er die kurze Betonstiege zur Eingangstür der Tierklinik hinaufstieg. Nicht angeborener Pessimismus ließ ihn daran denken, sondern bittere Erfahrung: Es konnte sein, dass er alles missverstanden hatte (um es freundlich auszudrücken), es konnte sein, dass ihm eine geschäftsmäßig kühle Frau Dr. Rhomberg den behandelten Kater und eine saftige Rechnung aushändigen würde, aber keine Erinnerung mehr daran hatte, wessen Hand sie noch gestern gedrückt, über wessen dumme Witze sie voller Herzlichkeit gelacht hatte. Fast gurrend gelacht hatte. Er kam, wir müssen es betonen, auf diese absonderliche Idee nicht, weil er verrückt war, sondern genau dies schon erlebt hatte. Sogar zwei Mal. Natürlich unter anderen Umständen (die hier nichts zur Sache tun) und nicht mit einer Tierärztin, aber eben doch. Frauen reagierten manchmal so. Kumpel, die er früher noch gehabt, denen er diese Geschichten erzählt hatte, wollten es nicht glauben; er übertreibe oder habe etwas falsch verstanden, sagten sie. Das konnte ja sein, aber es handelt sich dabei nicht um eine akademische Diskussion, sondern um sein Leben; in diesem Leben fürchtete er nichts so sehr wie enttäuschte Erwartungen, weshalb er sich immer bemühte, keine zu haben, Erwartungen nämlich. Hoffnungen schon gar nicht. Beides bezog sich auf die Zukunft, aber während die Erwartung wenigstens durch ein Mindestmaß an Empirie gestützt war, kam die Hoffnung aus dem reinen Irrationalen, da war überhaupt nichts dahinter, außer der kindlicheWunsch, alles möge gut ausgehen. Der Unterschied zwischen beidem war ein ständiger Streitpunkt mit Bianca gewesen, was kaum mit Philosophie, aber viel mit der täglichen Praxis zu tun gehabt hatte. Er verhalte sich ganz falsch, hatte sie ihm vorgehalten, wer nicht hoffe, dürfe auch nichts erwarten, hatte sie oft gesagt und das auch begründet, daran erinnerte er sich noch, aber an das Argument selber nicht mehr, vergessen oder verdrängt.
    Das Einzige, was er hoffte, als er sich im wie immer übervollen Wartezimmer niederließ, war, dass er sich nichts vormachen würde, egal, was geschah. Er seinerseits würde aber auch ihr nichts vormachen, das nahm er sich vor. Er beobachtete erst die Anwesenden mit ihren Tieren, auffallend viele Hunde heute, die Stimmung war aufgekratzt und kommunikativ wie gestern, aber er hatte nicht die innere Ruhe, sich darauf einzulassen. Statt sich gleich anzumelden, folgte er einem Einfall, ging vor die Tür und rief den Redakteur des Gratisblättchens an. Er kenne da jetzt eine Tierärztin, zufällig, ob man nicht einmal eine Reportage machen könne, »Ein Tag in der Praxis« oder so. Der Redakteur sagte zum Vorschlag erst einmal nichts, nur, was er äußerstenfalls dafür zahlen könne. Als Schott die lächerliche Summe kommentarlos akzeptierte, überschlug sich der andere vor Begeisterung; genau diese Art von Geschichten sei es, was man in seinem Blatt erwarte und schätze, das Ganze habe aber nur Sinn, wenn man eine Doppelseite mache und natürlich mit Fotos, bitte! Schott versprach die Lieferung eines gründlich recherchierten

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