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Das unsagbar Gute

Das unsagbar Gute

Titel: Das unsagbar Gute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mähr
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Artikels mit selber beigesteuerten Fotos bis in zwei Wochen (nächste Woche würde erst der Mosterei-Artikel erscheinen). Das lief ja prima, dachte er, als er in den Warteraum zurückkehrte; ich weiß gar nicht, was die Kollegen alle haben, die Arbeitsmöglichkeiten mit der lokalen Presse sind doch ausgezeichnet, wenn man sich ein bisschen an die Gegebenheiten anpasst und unrealistische Vorstellungenaufgibt – zum Beispiel die, von der eigenen Arbeit leben zu können. Er meldete sich an. Die Frau Doktor habe gleich Zeit für ihn, richtete die Gehilfin mit hörbarem Widerwillen aus; Schott vermochte nicht einzuschätzen, was da im Hintergrund gelaufen war. Praxisinterna. Diffizile gruppendynamische Gleichgewichte.
    »Ich brauch Sie dann auch noch«, sagte er. »Für ein Interview. Fürs Wochenblatt. Wenn die Chefin nichts dagegen hat …«
    »Was für ein Interview, wieso …?«
    »Ein Artikel. ›Tierarzt heute‹, so ähnlich halt. Da kann ich ja schlecht nur die Ärztin interviewen, es geht um alle Beteiligten, verstehen Sie? Wie heißen Sie?«
    »Angelika. Haben Sie die Frau Doktor schon gefragt?«
    »Was gefragt?«
    Die Frau Doktor war von hinten herangetreten. Schott gab ihr die Hand und erklärte sein Anliegen. Was er dabei sagte, hätte er schon zwei Sekunden später nicht mehr wiederholen können, er sprach auf Autopilot, sah der Frau Doktor (der schönsten Frau der Welt nebenbei) ins Gesicht und hielt ihre Hand und spürte, wie sie gedrückt wurde. Seine Hand. Von ihr. Alle Zweifel verschwanden wie Schnee in der Sonne. Auch der Praxisraum erschien heller als gestern, obwohl draußen derselbe zähe Herbsthochnebel die ganze Welt ins Depressionsgrau drückte. Sie ließen zögernd los, beide, Schott kehrte zu seinem Stuhl zurück, es dauere noch ein bisschen, das hatte er mitbekommen, sonst aber nichts von allem, was sie ihm noch gesagt hatte; die Wärme ihres Händedrucks – er war versucht, an »Innigkeit« zu denken – überschwemmte seinen sensorischen Apparat und blockierte alle anderen Sinne; wenn sie will, dass ich verstehe, was sie sagt, darf sie mir nicht die Hand geben, dachte er, das kann sie nicht verlangen, dass ich da noch zuhöre, ich bin schließlich kein Multitasker. Allmählich fiel ihm ein, worum es in dem kurzen Gespräch gegangen war; ja,natürlich, die Frau Doktor hat nichts gegen eine solche Reportage und steht auch selber zur Verfügung …
    Ich grinse vor mich hin, dachte er, und beobachte die Wartezimmergenossen, ob ich von ihnen beobachtet werde, aber da ist nichts, obwohl ich vor mich hin grinse wie ein Honigkuchenpferd. Die Leute waren zu sehr mit ihren Tieren beschäftigt. In einem Menschenwartezimmer wäre er aufgefallen. Was hatte er bloß noch gesagt? Ach ja, dass er sie zum Abendessen einlade, wann immer sie wolle, da könnten sie dann alles besprechen, interviewmäßig und so weiter … und sie hatte zugesagt. Hatte sie zugesagt? Daran konnte er sich nicht erinnern, es war der Eindruck eines vagen Einverständnisses, aber den Wortlaut brachte er nicht mehr zusammen. Bin ich verrückt, das ist doch das Wichtigste! Nein, das war es eben nicht, seltsamerweise. Dieses Abendessen war nur ein Ritual, eine Formalität. Wenn sie dieses Mal nicht zusagte, dann eben das nächste Mal; in Wahrheit waren sie beide über das Stadium des Ausgehens hinaus, weit hinaus, sie wusste das, und er wusste es, in Wahrheit sahen sie schon bis ans Ende ihrer Tage und dabei den anderen immer neben sich. Jedenfalls war das so bei Schott.
    Als er hereingerufen wurde, wartete Sami schon in seinem Transportkäfig. Das gebissene Bein war weiß verbunden. »Oben lassen, so lang es geht«, sagte die Frau Doktor, »er wird ohnehin versuchen, den Verband abzureißen, aber das lässt sich nicht verhindern.« Sami machte nicht den Eindruck, etwas abreißen oder sonst etwas tun zu wollen. Er hatte die Augen halb geschlossen, der Kopf ruhte auf dem unverletzten Vorderbein.
    »War es schlimm?«, fragte Schott.
    »Nein, das Übliche halt. Ich musste die Wunde mit einer Sonde ausspülen, der Biss ging ja durch – er hat sich da wohl einen wirklichen Feind gemacht.«
    »Ein Untier«, sagte Schott.
    Die Frau Doktor lachte (wieder mit jenem unvergleichlichen, von Schott noch nie von einer Frau vernommenen gurrenden Unterton). Schott überlief es heiß und kalt. Er zwang sich zur Konzentration.
    »Wichtig«, sagte sie, »er darf heute nicht raus. Er ist noch ein bisschen groggy …«
    »Futter?«
    »Normal,

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