Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das unsagbar Gute

Das unsagbar Gute

Titel: Das unsagbar Gute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mähr
Vom Netzwerk:
die Augen, und er drückte zurück und schaute zurück, und alles war gut. Weil hoffnungsvoll. Ja, konnte man so sagen. Morgen Nachmittag würde er wiederkommen und Sami abholen und dann … das würde sich weisen.
    Er fuhr in einer Art Trance nach Hause. Als er ankam, merkte er, dass er den Transportkäfig in der Praxis vergessen hatte.

    *

    Charly parkte den Leihwagen in der neuen Tiefgarage in der Dornbirner Innenstadt, genau unter der Durchzugsstraße. Diese Straße zerschnitt die Stadt in zwei Teile, einen östlichen und einen westlichen, wie er dem Internetstadtplan entnommen hatte. Eine merkwürdige Art, eine Straße mitten durch die Stadt zu bauen, aber merkwürdig war noch anderes an diesem Dornbirn. Als er aus der Garage aus der Westseite nach oben kam, fiel sein Blick auf den Marktplatz, hinter dem sich das Parlament erhob. Nein, ein Parlament konnte das nicht sein, es fehlte auch der hohe Sockel wie in Wien, aber was sollte das sonst sein, ein klassizistischer Bau mit sechs gewaltigen Säulen, pseudogriechisch? Daneben stand ein Kirchturm mit steilem Spitzdach, dann gab es noch ein kleineres villenartiges Gebäude, auf der anderen Seite ein rot gestrichenes Holzhaus, Typus Spätmittelalter. An dem Ensemble passte überhaupt nichts zusammen, die großfenstrigen Siebziger-Jahre-Bauten an der rechten Seite des Platzes, die an jedem anderen Ort ein historisches Ensemble verschandelt hätten, fielen hier nicht weiter negativ auf, es gab nichts zu verschandeln. Charly hatte ein Faible für Architektur. Zeichnen war in der Schule das Einzige gewesen, was er gut konnte, aber außer dem Lehrer Fässler war das niemandem aufgefallen. Es hätte etwas aus mir werden können, dachte er oft, wenn die Umstände … er dachte das auch jetzt wieder und gleich darauf an etwas anderes. Es nutzte ja nichts. Denn bei solchen Gedanken kamen oft die Anfälle, so auch jetzt, schwach nur, aber eben doch. Er nahm einen tiefen Zug aus dem Inhalator. Gleich ging es besser. Einen Vorteil hatte dieses Leiden: Es erklärte vieles, was schiefgelaufen war. Wenn man in der Schule so oft fehlt, weil man krank ist, bleibt man zurück, wenn die Eltern nicht aus der Schicht stammen, die auf Teufel komm raus Nachhilfe bezahlt. Sein Vater stand an der Drehbank in einem kleinen Metallbetrieb und hatte mit dem Trinken angefangen, als die BudePleite machte, seine Mutter ging putzen, um das Familieneinkommen aufzubessern. Und der einzige Sohn hatte Asthma. Charly sprach zu niemandem über seine Kindheit, weil er die paar Mal, als er es doch getan hatte, diese Blicke geerntet hatte, die er nicht ausstehen konnte; er wusste selber, dass alles wie ausgedacht klang, ich bin nicht schuld, und zwar an gar nichts, weil ich es so schwer gehabt habe … und so weiter. Nicht einmal seine Freunde glaubten die Geschichte, wie er sie erzählte. Obwohl die Sache mit dem Inhalator allen bekannt war. Weil sie glauben, ich spiele das nur, dachte er oft, in dem Apparat ist nur Wasser, denken sie, kein Asthmamittel. Charly Wichtigtuer, der Einzige in der Branche mit einer so gschissenen Krankheit …
    Er hatte versucht, das Leiden durch körperliche Aktivitäten in den Griff zu kriegen, das war zwar nicht gelungen, hatte ihm aber zu Muskeln und sagenhafter Kondition verholfen. Und zu dem Job, den er jetzt hatte. Deswegen war er hier, in dem komischen Dornbirn, das er nur aus Erzählungen kannte, aus übertriebenen. Aber seine Quelle hatte nicht übertrieben, der Platz sah wirklich so scheußlich aus, dass er schon fast wieder einen eigenen Schick hatte. Charly ging nach Süden bis zur Ampel, überquerte die Hauptstraße. Weiter ins Villenviertel. Er hatte die Stadt im Kopf. Aus Gewohnheit. Bei solchen Jobs konnte man sich nicht mit dem Studium von Plänen aufhalten. Das musste alles vorher eingepaukt werden. Das Internet war eine große Hilfe.
    So fand er auch sofort die Villa der Frau Leupold. Für die Zwecke der Frau Professor waren Gebäude und Umfeld ideal, da konnte er sie nur beglückwünschen. Ein einzeln stehendes Haus, groß genug für Arbeitsräume, das war wichtig, man brauchte Platz für die Produktion; dabei von außen ohne den geringsten Hinweis, nichts, was auf Werkstatt, Garage oder Lager deutete, ein reines Wohnhaus. Von den Nachbarn so weitentfernt, dass keine neugierigen Blicke durch Fenster oder offene Türen fallen konnten und das Kommen und Gehen schwer zu überprüfen war – aber auch wieder nicht so weit von der Nachbarschaft

Weitere Kostenlose Bücher