Das unsagbar Gute
länger nicht, als gut für ihn war … genau, die Sache mit Charly, da hatte er etwas vorgehabt, aber dann … die Gedanken flogen dahin, er konnte sich nicht konzentrieren, was mit Charly los war, fiel ihm nicht ein, der Atem ging schwer, er keuchte. Die Nase lief, der Schleim kroch über die Lippen aufs Kinn, er versuchte ihn mit dem Ärmel abzuwischen, aber es kam immer neuer. Er zitterte so stark, dass er sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte, er setzte sich auf einen Stuhl am Esstisch, trotz der Festbeleuchtung lag die Wohnung im Dämmerlicht, Gegenstände in ein paar Meter Entfernung verschwammen in grauem Nebel. Etwas Schlechtes gegessen. Das schoss ihm ein, er hatte sich vergiftet, Sehstörungen, hieß es nicht, dass man das kriegt von verdorbenem Fisch? Hatte er heute Fisch gegessen? Er wusste nicht mehr, was er heute gegessen hatte, aber mit dem Gedanken an Fisch wurde ihm übel, er kotzte einen Riesenschwall auf den Boden. Er fühlte sich so schwach, dass er nicht mehr aufstehen konnte, die Brust tat ihm weh, das Zittern erfasste jetzt den ganzen Körper, er wollte die Rettung anrufen, schaffte es aber nicht, die richtigen Tasten am Handy zu drücken, die Koordination war weg. Er rutschte vom Stuhl, seine Hosen wurden warm und nass, er fiel auf den Boden.
*
»Das ist seltsam«, sagte sie.
»Was denn?«
»Dass ich mich so gut fühle. Schon vorher …«
»Seien wir ehrlich«, sagte er, »das sind nur die Hormone.«
»Was meinst du?«
»Dass ich mich jetzt so gut fühle …« Sie lachte. »Du hast eine merkwürdige Art, Komplimente zu machen!«
»Nein … versteh doch, ich meine, das kann doch gar nicht sein, das ist doch …«
»Ich weiß, was du meinst. Ich fühl mich auch … gut …« Sie wandte sich ihm wieder zu, legte den Arm auf seine Brust. Er sah sie nur im schwachen Gegenlicht des Fensters, draußen versank die Welt in der nebligen Nässe der Novembernacht, das Zimmer ging auf den Garten hinaus, dahinter die Gärten der Nachbarhäuser, die den Laternenschein der Straße abhielten. So herrschte fast völlige Dunkelheit, in die aber vom Himmel das erste Grau kroch. Wir sehen das nur, dachte er, weil wir so lange ins absolut Dunkle geschaut haben.
Ihre Haut schimmerte. Er strich mit dem Zeigefinger darüber hin. Sie wandte sich ihm zu. Wie lange sie nun schon nebeneinander, nein: miteinander in dem breiten Bett lagen, konnte er nicht sagen. Eine halbe Stunde. Aber vielleicht nur zehn Minuten. Nach einer hektischen Einleitungsphase mit Kleider-Runterreißen und -Verstreuen hatte sich, sobald sie in der Horizontalen waren, große Ruhe ausgebreitet. Es gab keine Ungeduld, keine Hast. Sie konnten sich Zeit lassen.
*
Im engen Gesichtsfeld tauchte Jimmy auf, Charlys Vertretung. Jimmy war einer Eingebung gefolgt, das hätte er nicht tun sollen, denn Jimmy war nicht der Hellsten einer, es hatte seinen Grund, dass er nur Charlys Vertretung war, sein einziger Vorzuglag in seiner Schlägerstatur. Leute seines Schlages sollten nicht auf Eingebungen hören, sondern möglichst immer nur tun, was man ihnen sagte. Jimmys Eingebung hätte, um etwas Nützliches zu bewirken, ihn auch viel früher befallen müssen, als sein Chef noch im Kaffeehaus weilte, und hätte darin bestehen müssen, Fritz Bindl am Betreten seiner Wohnung zu hindern, wie hätte das aber funktionieren sollen … so kam die Eingebung in Form des diffusen Eindrucks einer schrecklichen Gefahr, in der Bindl schwebte. Dieser Eindruck veranlasste Ludwig Prohaska (so hieß er wirklich), seinen Chef anzurufen, respektive, als sich der nicht meldete, in die Wohnung zu fahren und mit dem Nachschlüssel und dem Code die Tür zu öffnen. Er fand seinen Chef im oberen Stock auf dem Rücken liegend. Der Raum stank nach der Scheiße, die einen großen, braunen Kreis um Bindls Unterleib gebildet hatte, der Mann war nass von oben bis unten, der Mund schleimverschmiert, das Hemd nassgeschwitzt, als er sich über ihn beugte, roch er den scharfen Urin, der den Scheißegestank durchstieß. Kein Zweifel, was hier passiert war. »Wo sind die!«, schrie er. »Sag, Chef, wo sind die?« Aber Bindl konnte nicht antworten, denn nun begannen die Krämpfe am ganzen Körper. Jimmy durchsuchte die Wohnung. Sie war leer. Er trat auch auf den Balkon, schaute über die Brüstung in den Hof. Niemand zu sehen. Er schloss die Balkontür.
Klar, was hier passiert war. Der Russe hatte auch so ausgesehen. In dieser Scheune im Waldviertel. Jimmy war
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