Das unsagbar Gute
nicht, ob die Wiener Rot-Kreuz-Leute nicht doch das Balkongeländer oder den äußeren Griff der Terrassentür berührt hätten; mit ziemlicher Sicherheit hätten sie aber die beiden Patienten an den Armen gefasst, wodurch Spuren der Flüssigkeit, die Fritz Bindl für Tau gehalten hatte, auf ihre Haut gelangt wären. Die Einmalhandschuhe, die sie angesichts des Zustandes ihrer Kundschaft angezogen hätten, boten gegen diese spezielle Substanz keinen Schutz, dazu hätten sie aus sogenanntem Butylkautschuk bestehen und nach spätestens einer halben Stunde mit einer speziellen Dekontaminationslösung abgeschrubbt werden müssen.
Aber das alles passierte den Rot-Kreuz-Leuten nicht, denn Jimmy verstarb unter entsetzlichen Krämpfen zwanzig Minuten nach seinem Chef. Die Terrassentür blieb offen, so dass der Regen, der in der Früh des nächsten Tages einsetzte, in Verbindung mit dem böigen Westwind der hereinbrechenden Kaltfront nicht nur so viel Wasser in den Raum ließ, dass der Parkettboden aufquoll und ruiniert wurde, sondern auch die allmähliche hydrolytische Zersetzung jener Flüssigkeit besorgte.
Bindls und Prohaskas Fehlen fiel zunächst weder im Café noch in der Organisation weiter auf. Sie waren es gewohnt, denChef und seine Mitarbeiter tagelang nicht zu sehen, keiner vermisste sie. Wäre es nach ihnen gegangen, hätte bis zum ersten Versuch der Kontaktaufnahme ruhig eine ganze Woche vergehen können, aber Manfredo duldete das nicht.
»Was ist, wenn dort jemand auftaucht, der keine Ahnung von dem Zeug hat?«
»Was meinst du?« Dr. Nowak klang scharf. Er ärgerte sich. Nicht über Manfredo. In diesem Augenblick fiel ihm Verschiedenes ein, was er – kaum begreiflich – wohl einfach verdrängt hatte, so musste es gewesen sein. Er wusste genau, was Manfredo meinte. Er war entsetzt. Über sich selbst.
»Du hast doch gesagt, der Stoff ist fürs Gelände – um es dauerhaft zu … zu … damit man es nicht betreten kann.«
»Ja, stimmt, du hast ja recht, verdammt noch mal …«
Kurze Zeit später erhielt die Wiener Polizei einen anonymen Anruf von einem Prepaid-Handy, dass auf den Wiener Unterweltboss Bindl ein Anschlag mit einem Nervengift geplant sei, man solle bei einer Nachschau nichts berühren und auf ungewöhnliche Gerüche achten. Dann hatte der Anrufer auch schon aufgelegt. Ein ABC-Trupp des Bundesheeres wurde angefordert, nachdem Herr Bindl nirgends aufzufinden war, aber auch nicht die Wohnungstür aufmachte. Der Trupp drang über die leerstehende Nachbarwohnung ein, nachdem von der dortigen Terrasse aus festgestellt worden war, dass Bindls Terrassentür trotz Regenwetter weit offen stand. Mit verschiedenen Testgeräten wurde dann der Stoff nachgewiesen. Reste auf dem Balkongeländer, wo das feuchte Wetter schon die Zersetzung eingeleitet hatte; relativ größere Mengen an den beiden Leichen, die rasch als Fritz Bindl und Ludwig Prohaska identifiziert waren. Die Antwort hieß:
Soman.
Manfredo las den Namen zwei Tage später in der Zeitung. Dr. Nowak war zum Billa einkaufen gegangen und hatte vondort den »Kurier« mitgebracht. Während Dr. Nowak Brot toastete, las ihm Manfredo vor; das Thema hatte die Presse geradezu elektrisiert, dass der Stoff aus dem ehemaligen Ostblock stammte, galt als so gut wie sicher.
»Stimmt das?«, fragte Manfredo. »Du hast das Zeug von den Russen?«
»Ach woher! Aber es ist gut, dass es so geglaubt wird. Ich hab’s natürlich selber hergestellt …«
»Was? In meinem Keller?«
»Natürlich nicht! Wo denkst du hin? Ich hatte eine kleine Menge davon früher einmal synthetisiert.«
»Was verstehst du denn unter einer kleinen Menge?«
»Ein paar Gramm, warum?«
»Warum? Du fragst, warum? Entschuldige, vielleicht bin ich begriffsstutzig, aber das sollte doch eher ich fragen. Warum hast du so was Verrücktes gemacht? Das ist doch wahnsinnig giftig!«
»Na ja, stimmt. Wahnsinn und giftig. Es hat sich halt so ergeben … man weiß ja auch nie, wozu man es brauchen kann – das hat sich ja jetzt herausgestellt. Dass man es brauchen kann, meine ich.« Er servierte die Toastscheiben. Dazu gab es Butter, heimischen Bienenhonig und zuckerreduzierte Marillenmarmelade mit hohem Fruchtanteil. Dr. Nowak schenkte den Kaffee ein. Manfredo nahm einen Schluck und verzog das Gesicht. Er hatte in der Wiener Wohnung keinen Automaten, nur eine Filtermaschine. Das Umgewöhnen brauchte immer zwei Tage.
»Du wirst in den nächsten Tagen noch einen Haufen Zeug über
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