Das unsagbar Gute
Meistens ging er nur mit einemEimer oder einer Rolle durch die hell erleuchteten Zimmer, was man von der gegenüberliegenden Hofseite gut sehen konnte; nichts konnte in Österreich harmloser sein als ein paar fleißige Schwarzarbeiter, die nach Feierabend ihr Gehalt aufbessern. Manfredo bewegte sich weniger, ab und zu trug er die Klappleiter durch die Räume, die meiste Zeit saß er aber auf dem Boden der Küche, die von außen nicht eingesehen werden konnte, an die Wand gelehnt und las »Die Brüder Karamasow« in einer Dünndruckausgabe. Von der Tür her kamen keine Geräusche. Gegen zehn machten sie alle Lichter aus und warteten noch eine Stunde in der Nähe der Terrassentür. Dr. Nowak beobachtete die Fenster auf der anderen Hofseite. Eines nach dem anderen wurde finster. Niemand schaute irgendwo heraus. Tief unter ihnen brannte die schwache Funzel der Hofbeleuchtung, die Terrasse lag schon in tiefem Dunkel. Manfredo holte die Klappleiter und stellte sie in die hinterste Ecke der Terrasse. Dr. Nowak stieg hinauf und über das Geländer. Manfredo wunderte sich über die Behendigkeit des Älteren.
Dann wartete er. Wenn jetzt jemand in die Wohnung kam, war alles aus, hatte Nowak gesagt. Es gab keine Möglichkeit, die aufgebrochene Tür von innen zu verbarrikadieren, das war die Schwachstelle bei dem Plan. Manfredo spürte seinen Puls bis in den Hals schlagen. Er stand neben der Eingangstür, in der Hand ein Stück Rohr. Dr. Nowak wusste nichts davon. Manfredo würde nicht »alles aus« sein lassen. Es ging nicht darum, nur ins Gefängnis zu kommen. Sie würden das Gefängnis nicht überleben, dafür würde Bindl sorgen, wenn er vom Einbruch in der Nachbarwohnung erfuhr. Und wenn er dann zwei und zwei zusammenzählte. Manfredo kannte da eine Geschichte von einem merkwürdigen Todesfall in der Haft, aber davon hatte er seinem Partner nichts erzählt. Manfredo würde zuschlagen, ganz gleich, wer sich für die aufgebrochene Tür interessierte.
Niemand kam.
Nur Dr. Nowak kam von der Terrasse zurück. Nach so kurzer Zeit, dass Manfredo befürchtete, es sei etwas schiefgelaufen. Hatte der Chemiker das wichtigste Utensil vergessen? Nowak grinste. »Abmarsch«, sagte er nur. Manfredo verbarg das Rohr in der Reisetasche. Sie trugen beide schon Zivil. Dr. Nowak verstaute die Arbeitshandschuhe, dann ging er mit seiner Tasche voran. Sie verließen das Haus, ohne jemandem zu begegnen. Auf dem Rückweg benutzten sie verschiedene Routen und saßen, als Fritz Bindl spät in der Nacht nach Hause kam, schon in Manfredos Wohnung in der Auhofstraße.
*
Schott war nervös. Das Abendessen lief nicht so, wie er das erwartet hatte. Obwohl er sich doch vorgenommen hatte, gar nichts zu erwarten, saß er nun da und … und … er wusste nicht, was nicht stimmte. Es stimmte doch alles! Sie saß ihm gegenüber und hörte zu. Er redete über den Artikel, er redete darüber, was er schon alles über den Beruf des Veterinärs recherchiert hatte, dann redete sie und korrigierte Missverständnisse oder Fehlinformationen, dann redete wieder er. Und dann kam das Essen. Alles sachlich und nüchtern. Ernst. Als ob es um eine »Spiegel«-Titelgeschichte ginge und nicht um ein Wald-und-Wiesen-Artikelchen für das regionale Gratisblatt.
Vielleicht lag es auch am Lokal. Es war nicht das, was er ihr vorgeschlagen hatte, nämlich das »Guth« in Lauterach. Gehobene Gastronomie. Das sei doch zwei Nummern zu fein für ein Geschäftsessen, hatte sie gesagt, ein bisschen gelacht und ein Chinarestaurant in Dornbirn vorgeschlagen, auf das er selber nie verfallen wäre – nicht im Zusammenhang mit Essen-Gehen-in-weiblicher-Begleitung. Und Anbahnung … wovon auch immer. Er hatte sie in der Praxis abgeholt und beim Bestellenmit Erleichterung festgestellt, dass sie offenbar gerne aß und ein ordentliches mehrgängiges Menü »für zwei Personen« vorschlug. Und sich nicht, wie er schon befürchtet hatte, mit einem Husch-Husch-Teller Bami Goreng begnügte. Sie aß langsam und mit Genuss, das passte schon, nur kam er ums Verrecken nicht aus dieser vermaledeiten Businesstalk-Gesprächsspur; wie in einem Albtraum, wo man zu fliehen versucht und nicht wegkommt, blieb er redenderweise am Tierärztlichen hängen. Sie beantwortete seine Fragen mit aller gewünschten Ausführlichkeit, er hätte gleich das Aufnahmegerät mitlaufen lassen sollen und Stoff für zehn Artikel gehabt, aber es interessierte ihn nicht, nicht an diesem Abend, solang nicht geklärt war,
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