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Das unsagbar Gute

Das unsagbar Gute

Titel: Das unsagbar Gute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mähr
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Kaffeehausbetriebsgewährleistet war. Kollegen aus der »Branche« machten sich hinter seinem Rücken lustig über diesen Eifer, den geldgeilen Cafetier zu geben – was sie nicht verstanden, war ganz einfach, dass eine gute Tarnung eben gar keine Tarnung ist, sondern gewissermaßen echt, das hieß in seinem Fall: Das Café musste auch für sich bestehen können, als kommunale Begegnungsstätte. Bestehen auch vor dem Finanzamt und den diversen Magistratsabteilungen, die mit Bewirtungsbetrieben befasst waren. Das ganze Drumherum musste einfach stimmen, das Publikum hatte den erwartbaren sozialen Querschnitt aufzuweisen – und durfte nicht vorwiegend aus Leuten bestehen, die »etwas kaufen« wollten. So etwas wäre über kurz oder lang aufgeflogen. Damit das aber so war, musste er die hohen Wiener Ansprüche punkto Kaffeehauskultur, Gemütlichkeit und so weiter ganz einfach erfüllen und konnte keine Schlampereien dulden. Das galt natürlich als typisch »Piefke« und bestätigte alle Vorurteile über seine Herkunft, aber darauf war er stolz.
    Was ihn heute dazu gebracht hatte, seinen Oberkellner, den »Herrn Walter«, zusammenzuscheißen, wusste er nicht mehr, als er die Sicherheitsschlösser an der Wohnung betätigte. Irgendwas mit der Abrechnung. Er hatte sich, das sah er nun ein, über Gebühr aufgeregt. Er würde morgen ein bisschen zurückrudern und Walter einen erhöhten Bonus in Aussicht stellen, Weihnachten war nicht mehr weit. Der Gedanke an Weihnachten besänftigte ihn wie immer, was ihm selber unbegreiflich war. Er hatte eher unerfreuliche Kindheitserinnerungen in diesem Punkt; an Weihnachten waren in seiner gutbürgerlichen Herkunftsfamilie, wie es sich gehörte, die Konflikte ausgebrochen, die das Jahr über unterdrückt wurden. Lehrbuchmäßig. Er konnte sich an keine schönen Weihnachten erinnern. Nur das Betriebsweihnachten war schön, es gab eine Feier, einen das Brachenübliche weit übersteigenden Bonus füralle, Alkohol von herausragender Qualität in großen Mengen, ein 1a-Catering mit so Erlesenem, dass die Angestellten, die im Lauf des Jahres neu eingetreten waren, große staunende Augen bekamen wie die kleinen Kinder. So geizig er sich übers Jahr betrug, so großzügig zeigte er sich auf dieser Feier, die zur Legende geworden war. Der Bindl, hieß es, ist eine Krätzen, aber die Weihnachtsfeier …
    Er schenkte sich einen Kognak ein und öffnete die Tür zur Terrasse. Draußen war es still und dunkel. Fritz Bindl genoss diese Augenblicke, wenn er weit nach Mitternacht seine Terrasse betrat, vom Geländer in den Hof blickte, in die dunklen Fenster auf der anderen Seite, den riesigen Schatten der Platane auf der Hausfront, erzeugt durch die winzige Lampe der Hofbeleuchtung, die er nie anders als brennend gesehen hatte, wahrscheinlich war sie Tag und Nacht an, das war aber auch schon wurscht, höchstens fünfzig Watt, das ewige Licht.
    Auf dem Geländer lag Tau, er merkte es, als er die Arme aufstützte. Die Feuchtigkeit drang durch den Stoff seines Baldessarini-Hemds. Er ärgerte sich, das gab sicher Flecken, er hätte besser aufpassen müssen, schon der Terrassenboden war ja mit Tau bedeckt, das fiel ihm erst jetzt richtig auf, ein nasser Film auf den Fliesen. Er ging zur Tür zurück. Auch der Griff war nass. Als ob es genieselt hätte. Auf der Straße war ihm das nicht aufgefallen, da war alles trocken gewesen; lag vielleicht an der Höhe der Terrasse. Er betrachtete die Hand. Die Feuchtigkeit glitzerte im Schein der Innenbeleuchtung. Das war gar kein Wasser, eher so was wie Öl. Es roch auch. Irgendwie nach Mottenkugeln. Komisch. Dann wurde das Licht schwächer, zurückgedimmt. Aber er hatte keinen Dimmer an dieser Lampe. Etwas stimmte nicht. Sein Gesichtsfeld verengte sich. Als ob er durch ein Bullauge schaute, kreisrund und ringsum schwarz. Er begann zu keuchen, lief in die Wohnung zurück. Fritz Bindl spürte, wie der Schweiß aus allen Poren brach. Das Bullaugewurde langsam kleiner, das Innere dunkler. Er machte die große Wohnzimmerlampe an, die Helligkeit nahm zu. Was war das für ein Zeug? Er wusch sich die Hände, zog das Hemd aus. Dunkle Flecken auf den Ärmeln. Das war auch kein Wasser. Er begann zu zittern, erst die Arme, dann die Beine; dauernd musste er Speichel schlucken, Tränen rannen ihm übers Gesicht, obwohl er nicht traurig war, sondern wütend. Er setzte sich und rief Charly an. Dessen Handy war abgeschaltet, ihm fiel ein, dass sich Charly nicht gemeldet hatte, schon

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