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Das unsagbar Gute

Das unsagbar Gute

Titel: Das unsagbar Gute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mähr
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Er sah verdrossen aus. Um die Stimmung aufzulockern, sagte Manfredo: »Vielleicht hätten sie nur mehr Zeit gebraucht – ich meine, das dauert doch, bis die zweiundzwanzig Gramm verdunstet sind.«
    »Damit hast du ein wahres Wort gelassen ausgesprochen«, antwortete Dr. Nowak heftig kauend. »Aber das ist es ja immer: Da macht man ein großes Tamtam, und dann werden einfachste physikalisch-chemische Zusammenhänge – ignoriert!«
    »Hättest du es denn besser gefunden, wenn diese Sekte den Anschlag richtig organisiert hätte?«
    »Was? Wieso … nein, natürlich nicht, furchtbar ist so was. All diese Fanatiker. Ich spreche ja nur prinzipiell …«
    »Fürs Prinzipielle ereiferst du dich aber ganz schön … und gestern das: War das auch nur – prinzipiell?«
    »Ich verstehe die Frage nicht, höre aber Kritik heraus, dafür hab ich ein Gespür. Was willst du mir also sagen?«
    »Na ja, wenn man hier zwischen den Zeilen liest – das scheint ein ziemlich scheußlicher Tod gewesen zu sein. Ich frage mich …«
    »Ob wir wirklich dieses grauenhafte, schreckliche Soman einsetzen mussten?« Dr. Nowak stand wieder auf. Er hatte schon drei Tassen Kaffee getrunken, das tat ihm nicht gut, wie Manfredo schon seit längerem hatte feststellen müssen. Der Chemiker wurde dann laut und ein bisschen ungerecht.
    »Du hast natürlich recht mit deinem Einwand«, rief Dr. Nowak ihm von der anderen Seite des Tisches zu. Es war noch kein Schreien, aber kurz davor. »Das nächste Mal werde ich mich etwas zurückhalten und ein wirksames Schlafmittel verwenden. Ich misch es ihm einfach in seinen Gute-Nacht-Kakao – dann gleitet er schmerzlos hinüber, wenn er in der Wanne liegt! Du muss mir nur noch mitteilen, wie ich das anstellen soll – nämlich überhaupt näher als fünf Meter an ihn ranzukommen!« Das war jetzt ein Schreien. Manfredo duckte sich.
    »Beruhige dich bitte! Ich hab’s nicht bös gemeint …«
    »Ganz offiziell: Findet die Vernichtung des Verbrechers Fritz Bindl durch den Nervenkampfstoff Soman deine uneingeschränkte Billigung?«
    »Selbstverständlich, das war ja ein besonderer Fall, wir hatten doch keine andere Chance. Ich wollte nur … anregen, wenn es wieder zu so einer unangenehmen Situation kommen sollte, dass du dir dann vielleicht eine etwas weniger brachiale Methode überlegst, das dürfte dir bei deinem reichen chemischen Wissen doch nicht schwerfallen. Ich meine, wir sind doch Humanisten …«
    »Humanisten? Ja, besonders ich!« Dr. Nowak lachte, es klang wie Ziegengemecker. Er setzte sich wieder. Er wirkte ruhiger. »Keine Angst, ich lasse das Verstreichen von Soman aufBalkongeländern und Türgriffen nicht zur Gewohnheit werden. Schon weil es viel zu gefährlich ist – ich hab mir fast in die Hosen gemacht dabei. Du hast Glück, dass ich noch hier sitze. Ich hatte ja keinen besonderen Schutzanzug oder so …«
    »Wieso hast du mir nichts davon gesagt?«
    »Ein Tröpfchen, was sage ich, der Bruchteil eines Tröpfchens auf die Haut – und ich stünde heute in der Zeitung. Statt Bindl. – Und was hätte ich sagen sollen? Die Wahrheit hätte dich doch nur wahnsinnig nervös gemacht. – Gibst du mir bitte die Butter rüber?«

    *

    Dr. Nowak spürte zum ersten Mal seit langer Zeit das gute Gefühl. Das Laborgefühl. In einem Labor zu stehen und etwas Sinnvolles zu tun. Etwas absolut Sinnvolles. Das ohne Ausflüchte und Hilfskonstruktionen so genannt werden konnte. Dr. Nowak hatte es aber aufgegeben, davon zu sprechen. Nur seine Oberen in der Firma wussten davon, und sogar die waren skeptischer als bei anderen Syntheseprogrammen. Obwohl sie alle Studien kannten, obwohl sie wussten, wie nahe er dran war, der Dr. Nowak am »Durchbruch«.
    Und er war wirklich nahe dran.
    Denn es könnte ja sein, nicht wahr? Es widersprach keinem Naturgesetz, dass eine solche Substanz existieren konnte, die a) unschädlich, b) nicht süchtig machend und c) absolut wirksam war. Es widersprach nur dem … dem … wie sollte er das nennen … dem Common Sense einer Medizinerkultur, die alle paar Generationen vergaßen, was sie vorher behauptet hatten. Den größten Blödsinn nämlich. Die Säftelehre. Davon abgeleitet hatten sie Behandlungsmethoden, denen ganze Völkerscharen zum Opfer gefallen waren, wenn man nur alles zusammenrechnete. Aber das störte keinen, dass die Medizinerallesamt dumm waren wie Brot. Nicht, dass sie nichts gewusst hätten. Nicht, dass sie nicht die eine oder andere Krankheit heilen

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