Das unsagbar Gute
würden. Sogar viele Krankheiten, soll sein. Dr. Nowak warf ihnen vor, dass sie dumm waren; wesensmäßig dumm, dumm als ontologische Kategorie verstanden.
Er hatte es seit langem aufgegeben, sich über diesen Punkt etwas vorzumachen. Er konnte nur mit unumstößlichen Beweisen dagegen aufkommen. Mit einer großen, besser: sehr großen Zahl von Personen, die an dieser Krankheit litten, die niemand nennen wollte – und geheilt wurden. Geheilt. Nicht eine Verlängerung der Überlebenszeit um so und so viele Monate stand zur Debatte, sondern Heilung. Nebenwirkungen würde es geben, das wusste er jetzt schon, und sie würden mindestens eine Medizinergeneration lang aufgebauscht und übertrieben werden, bis sich seine Substanz durchgesetzt haben würde. Das noch zu erleben, war ihm nicht vergönnt, so alt konnte er nicht werden.
Er bereitete neue Synthesen vor. Er baute eine Glasapparatur auf, in der eine bestimmte Reaktion ablaufen würde. Einen Dreihalskolben mit Rührwerk, Thermometer und Tropftrichter. Der Dreihalskolben hing in einem Eisbad, die Reaktion verlangte Kühlung. Klassische organische Synthese. Er würde mit dieser Apparatur an dem Molekül eine gewisse Veränderung vornehmen, eine Reduktion. Er würde ein Keton zum Alkohol reduzieren. Das Molekül, das er dazu ausersehen hatte, war nicht das einzige. Eine ganze Reihe wartete darauf, alle waren sie strukturell ähnlich, enge Verwandte. Alle mussten getestet werden. Natürlich nicht an kranken Menschen. Nur an Ratten. In Wien gab es noch jemanden, den Prof. Nawratil, der diese Tests durchführen würde, fast illegal, denn mit der Schließung der Wiener Konzerndependance waren auch die Kooperationsprojekte mit der Universität Sofia zum Erliegen gekommen, aber Nawratil hatte es verstanden, diese Testsunter anderem Titel weiterlaufen zu lassen. Vorausgesetzt, Nowak lieferte die Substanzen. Nawratil hatte keine Vorurteile und glaubte an die Chance. Die Chance auf ein Krebsheilmittel, das diesen Namen verdiente.
Nowaks Vorgänger bei diesem Projekt hatte eine Wurzel untersucht, die von alters her gegen alles Mögliche verwendet wurde, allerdings mit eher geringem Erfolg, weshalb die Pflanze sogar in den einschlägigen Kräuterbüchern nur sporadisch vorkam. Der Einsatz gegen Tumorzellen war ein Geniestreich gewesen, ein Aufbruch ins Unbekannte, geleitet von nichts anderem als … Dr. Nowak wusste nicht, woher seinem Vorgänger diese Idee gekommen war. Bei näherer Untersuchung stellte sich dann heraus, dass die Wirkung von anderen in der Pflanze vorkommenden Substanzen konterkariert wurde; ohne diese Störeinflüsse war die Unterdrückung des Zellwachstums viel stärker, stärker noch als die gängiger Zytostatika. Und besser noch: Die einzelnen Verbindungen zeigten je nach Struktur unterschiedliche Wirksamkeit, strukturelle Effekte sind immer gut, weil sie die Hoffnung begründen, durch Einbau der richtigen Seitenkette das Mittel zu einem Blockbuster zu machen.
Dr. Nowak hatte die Strukturen über Jahre hinweg systematisch variiert. Und dann hatte die Zentrale in Amerika die Geduld verloren. Man konnte diese Dinge so oder so sehen und geteilter Meinung sein, aber eben: Es ging um Meinungen, im Grunde um Glauben und Hoffen. Niemand kannte die Wahrheit, am wenigsten allerdings, davon war Nowak überzeugt, kannte sie der Intrigantenhaufen in Rochester. Natürlich konnte er scheitern, das lag in der Natur der Sache. Aber wissen würde man das am Ende des Projekts und nicht in der Mitte. Friedrich August Böttger fiel ihm ein, den sein Kurfürst festgesetzt hatte, um Gold zu machen – da war es genau umgekehrt gewesen: Der Herrscher Sachsens war überzeugt, dass esgelingen würde, wenn nur der Goldmacher nicht einem besseren Angebot hinterherlief. Gold kam keines heraus, aber Porzellan. Die Kurfürsten von Rochester hatten Dr. Nowak nicht ein-, sondern ausgesperrt, aus dem Labor rausgeworfen. Weil ihnen der Glaube fehlte. Man würde in dreihundert Jahren auch nicht mehr von ihnen reden, wie man heute über August den Starken redete. Das hatte alles kein Niveau.
Es kam nun nur noch darauf an, die richtige strukturelle Veränderung am Molekül zu finden, die das optimale Ergebnis brächte. Dr. Nowak hatte aus den fast endlosen Möglichkeiten, die sich hier boten, von Anfang an die richtige gewählt; er war im Gewirr der möglichen Wege gleich ins richtige Seitengässchen eingebogen. Wer hatte ihn angeleitet? Sein chemischer Instinkt. Sonst nichts. Die Gasse,
Weitere Kostenlose Bücher