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Das unsagbar Gute

Das unsagbar Gute

Titel: Das unsagbar Gute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mähr
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war die offene Kellertür, durch die Sami verschwunden war. Die Öffnung strahlte in einem reinen, tiefen Schwarz, obwohl man doch dort nur die grauen Wände des Vorraums sehen sollte. Von dem Schwarz ging eine Bedrohung aus. Dr. Nowak begann sich unwohl zu fühlen. Dann wurde das Schwarz auf der linken Seite etwas heller, zuerst grau, dann gab es ein Licht, das langsam heller wurde. Darin lag das Problem.
    Etwas kam näher.
    Es .
    Dr. Nowak wusste nicht, was es war. Nur Es . Aber es war groß, keine Frage. Wenn Es die Tür erreicht hatte, würde Es hereinschauen und Dr. Nowak erblicken. Alles wäre gut gewesen, wenn er die Tür hätte schließen können, das wusste er, aber die lästige Lähmung, eine Nebenwirkung von Nummer siebzehn, hatte nun den ganzen Körper erfasst. Er konnte keinen Finger rühren. Und was war so schlimm daran, wenn Es hereinschaute? Dr. Nowak wollte Es nicht sehen. Denn dann würde er sterben. Ganz einfach.
    Dr. Nowak hatte Todesangst.
    Es gibt einen Bericht über das russische Schiff Iwan Wassilii , das in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts im fernen Osten unterwegs war. An Bord ereigneten sich mehrere Selbstmorde, ausgelöst durch die Anwesenheit einer Entität, die nicht gesehen oder gehört, nur gespürt werden konnte. Sie löste Angst aus. So große Angst, dass manche Matrosen den Freitod wählten. Als sich der letzte Kapitän auch umgebracht hatte, ließ die Mannschaft das Unglücksschiff in der Nähe von Wladiwostok am Ufer auf Grund laufen und floh. Das Schiff moderte jahrelang vor sich hin, bis es jemand anzündete. Das Rätsel wurde nie gelöst.
    Dr. Nowak hatte die Geschichte vor Jahren in einem Sammelband über unheimliche Begebenheiten auf See gelesen und vergessen. Jetzt fiel sie ihm wieder ein. Die Matrosen hatten jenes Wesen nie gesehen und ihre Handlungsfreiheit behalten. Er würde sehr bald etwas sehen und konnte nicht fliehen. Er konnte nicht über Bord springen. Rühren konnte er sich auch nicht. Also würde er Es sehen.
    Dr. Nowak begann zu schreien. Er verstummte erst, als Es die Tür erreicht hatte und in den Raum sah.
    Das Auge Gottes .
    Danach war alles anders.

8

    Ich hab schon mehrere Male versucht, Sie anzurufen!«
    »Ja und?« Dr. Nowak meinte die Frage ehrlich, ohne jeden ironischen Unterton. Das Gefühl für Ironie hatte ihn verlassen.
    »Sie brauchen gar nicht so zu tun … es hat keinen Zweck, sich zu verstecken …« Die Stimme klang dumpf. Wahrscheinlich ein Tuch vor der Sprechmuschel. Aus irgendeinem Grund hatte Dr. Nowak die Vorstellung eines altmodischen Telefonhörers aus schwarzem Bakelit, das untere Ende mit einem Taschentuch umwickelt. Obwohl das unwahrscheinlich war. Anonyme Anrufer meldeten sich per Prepaid-Handy. Und woher wusste er, dass dieser Anrufer anonym war? (Oder die Anruferin, die Stimme klang durch die Dämpfung so verzerrt, dass sich das nicht entscheiden ließ. Sie war auch schwer zu verstehen.) Die Stimme hatte keinen Namen genannt, aber Dr. Nowak hatte auch nicht danach gefragt, wie ihm erst jetzt auffiel. Er ging einfach davon aus, dass der Anrufer anonym bleiben würde. Früher hätte er gefragt und sich aufgeregt. Früher. Also gestern oder besser: vor hundert Jahren.
    »Sie müssen das Tuch ein bisschen wegnehmen«, sagte er dann. »Ich kann kaum was verstehen …« Das kam auf der anderen Seite nicht gut an. »So werden Sie uns nicht los!«, keifte die Stimme.
    »Ich will Sie gar nicht loswerden«, sagte Dr. Nowak mit großer Ruhe. »Ich möchte Sie nur verstehen können und wissen, was Sie von mir wollen …«
    »Das Geld!« Die Stimme klang nun sachlicher und besser verständlich, offenbar hatte sie doch eine Lage Stoff vom Mikro entfernt.
    »Ihr seid die mit dem Brief aus Zeitungsbuchstaben?«, fragte Dr. Nowak. »Sehr schöne Arbeit … hohe Sorgfalt, keine eingerissenen Ecken, saubere Schnittkanten. Gratuliere …«
    »Wollen Sie mich veralbern?«
    »Keineswegs. Aber saubere Arbeit muss man loben dürfen, meinen Sie nicht?«
    Am anderen Ende der Leitung blieb es eine Weile still.
    »Sind Sie noch da?«, wollte Dr. Nowak wissen.
    »Ja, natürlich …«
    »Also, was kann ich für Sie tun?«
    »Ich hab doch schon gesagt, wir wollen das Geld …«
    Dr. Nowak seufzte. »Die Unterhaltung wird etwas mühsam, finden Sie nicht? Das Geld haben Sie doch schon erwähnt. Also sagen Sie mir jetzt einfach: wann und wo …«
    Die Stimme räusperte sich und begann dann einen langen Sermon mit der Beschreibung eines

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