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Das unsagbar Gute

Das unsagbar Gute

Titel: Das unsagbar Gute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mähr
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Chemie hatte, da konnte er noch so oft behaupten, das Wort »Halluzination« nicht zu kennen. Sami »wusste«, was Dr. Nowak wusste, keinen Deut mehr.
    »Ho de speiron eis to pneuma ek tou pneumatos therisei zoän aionion« , sagte der Kater und sprang vom Tisch.
    »Was?!«
    »Du kannst kein Griechisch?«
    »Nein, verdammt! Was soll das heißen?«
    »Wer auf den Geist sät, der wird vom Geist das ewige Leben ernten.«
    »Das hast du jetzt erfunden!«
    »Keineswegs. So steht es im Brief des Paulus an die Galather, Kapitel 6 , Vers 8 . Ich wiederhole es dir, damit du es dir merkst – für nachher. Ho de speiron eis to pneuma  … sprich mir nach!«
    »Ho de speiron eis to pneuma …«
    »… ek tou pneumatos therisei zoän aionion  …«
    »… ek tou pneumatos … theriso…«
    »… therisei! Therisei – dritte Person Einzahl, Futurum von therizein, das heißt ›ernten‹ – das kann doch nicht so schwer sein! Du warst doch auf dem Gymnasium, du kennst ja das Wort ›Halluzination‹.«
    »Ich hab Griechisch abgewählt. Zugunsten von Französisch …«
    »Ach so. Na, macht nichts. Sprich mir einfach nach: … ek tou pneumatos therisei zoän aionion  …«
    »… ek tou pneumatos therisei zoän aionion …«
    »Na also, geht doch!«
    Dr. Nowak atmete schwer. »Das ist nicht möglich …«
    »Dass ich Griechisch kann und du nicht? – Ja, da hast du jetzt ein kleines Problem … ich muss weiter. Mach’s gut!«
    »Warte! Warum soll ich mir diesen Satz merken?«
    Der Kater, schon zum Gehen gewandt, blieb stehen. »Zwei Gründe: Erstens sollst du ihn später überprüfen  …«
    »Wann später?«
    »Wenn der zweite Grund eingetreten ist. Dir wird gleich etwas begegnen  …«
    »Warum gehst du dann?«
    »Weil ich den Anblick nicht ertrage, verstehst du? Im Sinne von ›Weh, ich ertrag dich nicht! – Du gleichst dem Geist, den du begreifst, nicht mir!‹ – Sag bloß, das kennst du auch nicht!«
    »Ich habe keine Ahnung …«
    »Du hast nie den ›Faust‹ gelesen? Sag, was war das für ein Gymnasium, wo du angeblich warst? Ach ja, eines, wo man Wörter wie ›Hallizion‹ lernt  … oder ›Hallizinon‹ oder wie auch immer  …«
    Dann geschah etwas Entsetzliches. Der Kater begann zu lachen. Katzen lachen nicht. Man wird einwenden, dass auch Hunde und andere Tiere das nicht tun, aber bei denen ist das Lachen wenigstens vorstellbar. Das heißt, die Phantasie des Menschen vermag die Physiognomie des Tieres so zu verbiegen, dass ein lachendes Gesicht herauskommt. Wer keine Phantasie hat, greift auf Computergrafik zurück. Die kann auch eine Katze zum Lachen bringen, es ist aber unnatürlich , soll heißen: unnatürlicher als etwa ein lachender Hund. Alle Katzenartigen sind ernst. Es handelt sich hier um eine metaphysische Konnotation, die allen Menschen mit auch nur geringem Wirklichkeitsbezug (die also schon einmal einer Katze ins Antlitz geblickt haben) vollkommen klar ist: Katzen lachen nicht, Punktum! Tun sie es doch, ist die Struktur der Realität gefährdet, respektive fällt diese (die Realität) gerade auseinander. Dr. Nowak sollte erfahren, dass eine lachende Katze, dieeinen Abgang macht, erhebliche seelische Unannehmlichkeiten andeutet.
    An das Lachen selbst erinnerte er sich später nicht mehr. Es war schrill, das wusste er noch, aber nicht, wie Sami dabei geklungen hatte. Die Pseudohalluzination eines sprechenden Katers. Mit der man gescheit über Philosophie diskutieren konnte, die Natur der Wirklichkeit und solchen Kokolores. Aber jetzt, da der Kater weg war, wurde es anders. Dr. Nowak wünschte sehr bald, der Kater wäre geblieben. Denn nun begannen die richtigen Halluzinationen, nicht Nicht-Pseudos. Die der Betroffene für wahr hält, für Bestandteil der Realität. Das lag daran, dass Nummer siebzehn erst jetzt die volle Wirksamkeit entwickelte. Aber das war eine Erklärung, die Dr. Nowak auch nichts half, nachdem alles vorbei war und er das Es überlebt hatte.
    Was geschah?
    Die Wände waberten, verloren ihre dichte Struktur, farbige Ränder tauchten an den Rändern der realen Laborgegenstände auf; es gab auch Musik, akustische Sensationen; irgendwas zwischen gregorianischem Choral und Syntheziser-Gejaule. Es war im Grunde das, was man sich am Beginn des 21. Jahrhunderts von einem ordentlichen Halluzinogen erwartet. Eine Kompression aller Filmbilder zum Thema andere Realität , fremde Welten und so weiter. Das alles hätte Dr. Nowak nicht aufgeregt. Was ihn irritierte,

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