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Das unsagbar Gute

Das unsagbar Gute

Titel: Das unsagbar Gute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mähr
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Treffpunkts. Und zweihunderttausend in kleinen Scheinen. Dr. Nowak sagte, das sei kein Problem, das Geld liege sowieso in kleinen Scheinen vor, eine Bemerkung, die am anderen Ende der Leitung wieder zu längerem Verstummen führte. Danach ließ sich die Stimme alles von Dr. Nowak wiederholen. Am Ende sagte er: »Schönen Tag noch!« Der Gruß wurde nicht erwidert.
    Dr. Nowak ließ sich wieder auf das Sofa zurücksinken, auf dem er schon die Nacht verbracht hatte. Und den Rest, der vom gestrigen Tag übrig geblieben war. Wenn das überhaupt der vergangene Tag war; jede Sicherheit über den zeitlichen Ablauf hatte sich verflüchtigt, Dr. Nowak hielt es für möglich, mehr als vierundzwanzig Stunden geschlafen zu haben. Er hielt jetzt viel mehr Dinge für möglich als vor dem Ereignis.
    Das Auge Gottes .
    Das er gesehen hatte.
    Nur eine Metapher natürlich. Das Auge Gottes war ihm eingefallen, kurz bevor jenes Es die offene Tür erreicht hatte, umhineinzusehen. Die drei Worte waren das Letzte, woran sich Dr. Romuald Nowak erinnerte, danach hatte eine Sicherungssoftware in seinem Hirn alles Weitere gelöscht, und zwar, da war er sich ganz sicher, unter dem Schutzschirm dieser Formulierung: Das Auge Gottes. Wäre ihm, so dachte er, kurz davor diese Formulierung nicht eingefallen, hätte er den Verstand verloren. Weil man das tut, den Verstand verlieren, wenn man als sterblicher Mensch Gott schaut. Darüber gab es Legenden, Sagen, Berichte. Der Mensch war nicht dazu geschaffen, Gott in seiner eigentlichen Gestalt zu erblicken; er starb davon oder wurde mindestens unheilbar verrückt. Ihn, Romuald Nowak, hatte nur der letzte, allerletzte rationale Gedanke gerettet, einen Schutzschirm aufgestellt, der den Anblick nicht so tief dringen ließ, dass die Verstandeskräfte irreparabel beschädigt würden.
    An den Anblick selber konnte er sich nicht erinnern, das war alles gelöscht. Er kam erst nach langem Schlaf wieder zu sich, auf dem Sofa, das aufgesucht zu haben er sich allerdings auch nicht erinnern konnte – leicht möglich, dass noch weitere Handlungen dem Gedächtnis entschwunden waren, Ausfahrten mit dem Auto, Spaziergänge, Liebesabenteuer, Verbrechen. Wenn ihn die Polizei mit Videoaufzeichnungen wovon auch immer konfrontieren sollte – er würde alles zugeben müssen. Nur, warum er dies oder das getan hatte, würde er nicht sagen können. Er hoffte einfach, dass er den letzten Tag (oder die letzten zwei Tage) nur auf dem Sofa verbracht hatte.
    Beim Erwachen fühlte er sich zerschlagen wie nach einer durchzechten Nacht; zwar ohne bitteren Geschmack im Mund, zwar ohne Kopfweh und Übelkeit, aber doch wie unter den Nachwirkungen von zu viel Alkohol von allerdings ausgezeichneter Qualität. Und es war in diesem langen Schlaf etwas mit seinem Gehirn passiert. Das spürte er allmählich, als er wieder ins Labor hinunterging. Er erinnerte sich an den sprechendenKater. Und an die Bibelstelle. Laut sprach er sie sich vor. Ohne Zögern und Stocken. Ho de speiron eis to pneuma ek tou pneumatos therisei zoän aionion. Ganz einfach. Wer auf den Geist sät, der wird vom Geist das ewige Leben ernten.
    Logisch irgendwie. Was genau »auf den Geist säen« bedeutete, hatte er noch nicht herausgefunden, aber so schwierig konnte das auch nicht sein, mit ein bisschen Nachdenken würde er dahinterkommen. Diese Stimme – die wollte also Geld. Natürlich, alle wollen Geld. Wieso auch nicht. Beim Gedanken an Geld überfiel ihn eine große Müdigkeit, er musste sich setzen. Nein, doch besser hinlegen. Auf das Sofa im Wohnzimmer. Nein!, sagte eine Stimme in seinem Kopf. Es war seine eigene Stimme, das wusste er. Es war also nicht so, dass er jetzt plötzlich Stimmen hörte. »Ich höre keine Stimmen«, sprach er laut in die Stille des Raumes. »Nur meine eigene.« Ja, ja, sagte die Gedankenstimme in seinem Kopf, schon klar, du bist nicht schizophren oder so, das ist auch kein Flashback, du musst nur aufpassen mit dem Hinlegen. Du musst wach bleiben!
    Wieso?, fragte sich Dr. Nowak.
    Etwas an dieser Substanz ist höchst ungewöhnlich, meinst du nicht? Ich halte Schlafen für gefährlich, ich weiß nicht wieso, nur so ein Gefühl …
    Was soll ich denn sonst machen? Ich bin einfach noch müde …
    Quatsch! Du bist nicht müde, das ist unnatürlich. Trink Kaffee!
    Das tat Dr. Nowak. Die Stimme im Kopf war die Stimme des rationalen Naturwissenschaftlers. Die würde ihn retten, ganz klar. Auge Gottes war natürlich Blödsinn. Wenn es keinen

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