Das unsichtbare Grauen
die zu liquidierende V-Person. Und außerdem brauche ich den Kugelschreiber, aus dem man die Giftkapseln abschießt.«
Jumbo nickte. Der Tophter des Chefs wagte er nicht zu widersprechen.
Sandra King erwachte am Morgen von zwei Geräuschen. Das eine drang bis in ihren leichten Traum und ließ sie erwachen, ohne daß sie die Augen öffnete. Statt dessen lauschte sie in das Hotelzimmer. Kein Zweifel, nebenan im Salon schlich jemand herum. Sandra King blinzelte unauffällig. Durch die offene Tür vom Schlafzimmer zum Salon konnte sie sehen, daß sich ein Vorhang bewegte, daß einer ihrer Koffer beiseite gerückt wurde -und all das, ohne daß jemand sichtbar wurde.
Das andere Geräusch war das Zirpen des Minisenders an ihrem Handgelenk. London wollte sie sprechen. Sandra schaltete den Sender kurzentschlossen ab. Sie konnte sich nicht mit der B.I.A.-Zentrale unterhalten, während jemand in ihren Sachen schnüffelte. Erst mußte sie klären, wer ihr Besucher war.
Sie bemühte sich, einen unbefangenen Eindruck zu machen, streifte den Pyjama ab und begab sich unter die Dusche. Das Rauschen des Wassers übertönte ihre Stimme; denn Sandra hatte den Minisen» der am Handgelenk wieder eingeschaltet und meldete sich. »Hallo, wer hat denn Sehnsucht nach mir?«
Ihr Bruder Bobby war sofort da: »Sandra, Schwesterherz, wie geht denn so alles?«
»Seltsam! Höchst seltsam! Irgend jemand ist ziemlich heftig hinter mir her...«
»Ein stürmischer Verehrer?« ulkte Bobby King am anderen Ende.
»Stürmisch und ziemlich unsichtbar«, erwiderte Sandra King.
»Du sagst es! Das ist das Stichwort...« Bobby King war plötzlich sehr ernst. »Hör mal zu, was ich für Unsichtbarkeiten zu berichten habe.« Er erzählte seiner Schwester in knappen Worten, was er in Trent Castle und Birmingham erlebt hatte und schloß: »Auch wenn wir's für noch so verrückt halten, Sandra. Da ist jemand unsichtbar und macht auch Gebrauch davon.«
»Es müssen mehrere Personen sein«, gab Sandra zu bedenken. »Eine befindet sich augenblicklich nebenan.«
»Du meinst - bei dir, im Hotelzimmer?« fragte Bobby verblüfft.
»Haargenau dort«, erwiderte Sandra. »Eine ziemlich unangenehme Person, die mich schon mal niedergeschlagen hat und der ich's ganz gern zurückgeben würde. Aber wenn man niemand sieht, kann man auch niemand ein Ding verpassen.«
Eine Sekunde herrschte Schweigen. Dann kam wieder Bobbys Stimme: »Sandra, ich glaube, ich habe eine Idee. Du hast doch die Ausrüstung bei dir?«
»Ja, natürlich.«
»Dann hör gut zu! In der Ausrüstung muß sich die Tube mit Magnetstaubpaste befinden.«
»Danke! Weiß schon Bescheid. Ende!« Sandra King schaltete den Mimsender ab und vollendete ihre Morgentoilette. Dann kehrte sie, in einen Bademantel gehüllt, fröhlich vor sich hin singend, ins Schlafzimmer zurück, wo der Koffer mit der Spezialausrüstung stand. Sie brauchte nur eine der Taschen im Spezialanzug zu öffnen und hatte schon die Tube in der Hand, die Bobby erwähnt und die sie fast vergessen hatte: sie hatte sie monatelang nicht gebraucht.
Das letzte Mal, erinnerte sie sich, während sie sich ankleidete, war es gewesen, als sie diesen schrecklichen Kidnapper in Bayswater verfolgt hatte. Man brauchte nur einen Streifen der Paste auf den Erdboden zu drücken und dafür Sorge zu tragen, daß die zu verfolgende Person drauf trat. Mit jedem Schritt würden sich von der Schuhsohle Partikelchen Magnetstaub lösen und eine Spur bis zu 100 km Länge legen. Schaltet man nun den am Handgelenk in der Spezial-Armbanduhr eingebauten Miniempfänger auf die richtige Wellenlänge, so würde er der Spur des Magnetstaubes mit einem steten, leisen Piepen folgen.
Unbefangen singend ging sie wieder in den Salon. Kein Zweifel, der Unsichtbare war noch anwesend. Der Vorhang bewegte sich fast nicht wahrnehmbar und ein Hauch fremden Atems war im Raum. Sandra hatte eine Art sechsten Sinn für diese Dinge. Sie mußte ihn haben. Es war in vielen Fällen ihre Lebensversicherung.
Dennoch fühlte sie sich so unsicher wie lange nicht. Ein unsichtbarer Gegner, dessen Absichten sie nicht kannte, war schon eine verteufelte Angelegenheit. Weder konnte sie erkennen, was er gerade tat, noch wußte sie, ob er nicht eben in diesem Moment zum Angriff ansetzte. Sie fühlte sich darum hilflos und ausgeliefert. Doch ließ sie sich das nicht anmerken. Der Unsichtbare mußte den Eindruck haben, daß sie nichts von seiner
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