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Das Unsterblichkeitsprogramm

Das Unsterblichkeitsprogramm

Titel: Das Unsterblichkeitsprogramm Kostenlos Bücher Online Lesen
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Ich warf ihr einen Seitenblick zu. »Haben Sie eine Zigarette?«
    Sie reichte mir wortlos ihr Päckchen. Ich schüttelte eine heraus, steckte sie mir in den Mundwinkel, berührte mit dem Ende die Zündfläche und inhalierte tief. Die Bewegungen kamen mir völlig natürlich vor, ein über die Jahre konditionierter Reflex, der wie ein Bedürfnismakro war. Ich musste überhaupt nichts bewusst dazutun. Der Rauch, der durch meine Lungen trieb, war wie der Hauch des Parfüms einer alten Geliebten, an die man sich gerne erinnert.
    »Er kannte mich.« Ich blies den Rauch aus. »Und er hat seine Hausaufgaben in der Geschichte der Quellisten gemacht. › Verdammt, jetzt reicht’s‹ waren die Worte, die eine Guerillakämpferin der Quellisten namens Iffy Deme sagte, als sie während der Bürgerkriege auf Harlans Welt starb. Man hatte ihr Sprengstoff implantiert, und sie hat das komplette Gebäude zerstört. Klingt das vertraut? Kennen wir jemanden, der mit Quellisten-Zitaten um sich werfen kann wie ein gebürtiger Millsporter?«
    »Er ist eingelagert, verdammt! Man kann jemanden nicht aus dem Stack holen, ohne…«
    »Ohne eine KI. Mit einer KI könnte man es schaffen. Ich habe es schon einmal erlebt. Das Zentralkommando auf Adoracion machte es mit unseren Kriegsgefangenen, einfach so.« Ich schnippte mit den Fingern. »Als würde man Elefantenrochen mit einem Haken aus dem Brutriff ziehen.«
    »So einfach?«, fragte Ortega ironisch.
    Ich saugte noch etwas Rauch ein und ignorierte diesen Punkt. »Erinnern Sie sich an die Gewittereffekte, als wir mit Kadmin in der VR waren?«
    »Hab nicht drauf geachtet. Nein, Moment, doch. Ich dachte, es wäre eine technische Störung.«
    »Nein. Es hat ihn berührt. Sich auf dem Tisch gespiegelt. Das war, als er versprach, mich zu töten.« Ich drehte mich zu ihr um und grinste unbehaglich. Meine Erinnerung an Kadmins virtuelle Entität war klar und widerlich. »Wollen Sie einen authentischen Mythos der ersten Generation auf Harlans Welt hören? Ein Märchen von einem anderen Planeten?«
    »Kovacs, selbst mit einer KI müssten die Leute…«
    »Wollen Sie die Geschichte hören?«
    Ortega zuckte die Achseln, verzog schmerzhaft das Gesicht und nickte. »Klar. Kann ich meine Zigaretten wiederhaben?«
    Ich warf ihr die Packung zu und wartete, bis sie sich eine angezündet hatte. Sie blies eine Rauchwolke auf die Straße hinaus. »Schießen Sie los!«
    »Gut. Newpest, die Stadt, aus der ich ursprünglich stamme, war früher ein Textilzentrum. Auf Harlans Welt gibt es eine Pflanze, die Belatang genannt wird. Sie wächst an den meisten Küsten im Meer. Wenn man sie trocknet und mit ein paar Chemikalien behandelt, kann man etwas daraus machen, das eine gewisse Ähnlichkeit mit Baumwolle hat. Während der Siedlerjahre war Newpest die Belawolle-Hauptstadt der Welt. Die Zustände in den Fabriken waren sogar damals ziemlich miserabel, und als die Quellisten alles auf den Kopf stellten, wurde es noch schlimmer. Die Belawolle-Industrie ging konkurs, und es kam zu hoher Arbeitslosigkeit und extremer Armut. Aber die Aufrührer konnten nichts dagegen tun. Sie waren Revolutionäre und keine Ökonomen.«
    »Immer dasselbe Lied.«
    »Zumindest klingt die Melodie vertraut. Zu jener Zeit waren aus den Textil-Slums ein paar ziemlich böse Geschichten zu hören. Zum Beispiel über die Dreschenden Kobolde oder den Kannibalen aus der Kitano-Straße.«
    Ortegas Augen weiteten sich, während sie an ihrer Zigarette zog. »Reizend.«
    »Ja, es waren nun einmal schlechte Zeiten. Damit kommen wir zur Geschichte von der Wahnsinnigen Näherin Ludmila. Sie wurde Kindern erzählt, damit sie im Haushalt mithalfen und vor Einbruch der Dunkelheit nach Hause kamen. Die Wahnsinnige Ludmila hatte eine ramponierte Belawolle-Fabrik und drei Kinder, die ihr nie bei der Arbeit halfen. Sie blieben jeden Abend lange weg, um in den Arkaden der Stadt zu spielen und den ganzen Tag zu verschlafen. Also ist Ludmila eines Tages ausgeflippt, wie es in der Geschichte heißt.«
    »Zu dem Zeitpunkt war sie also noch nicht wahnsinnig?«
    »Nein, sie war nur etwas gestresst.«
    »Aber Sie haben sie bereits als Wahnsinnige Ludmila bezeichnet.«
    »So heißt die Geschichte nun einmal.«
    »Aber wenn sie am Anfang noch gar nicht wahnsinnig war…«
    »Wollen Sie die Geschichte nun hören oder nicht?«
    Ortegas Mundwinkel verzogen sich. Sie gab mir einen stummen Wink mit der Zigarette.
    »Die Geschichte geht damit weiter, dass sich ihre Kinder eines

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