Das Unsterblichkeitsprogramm
Gefühl der klebrigen Troden auf der Haut, wenn man anschließend zwischen den beengten Wänden des Sarges wieder auftauchte.
»Kovacs?«
Ich blinzelte und griff nach den Gurten. Ich zwängte mich aus der Kabine und stellte fest, dass Ortega bereits draußen im unverkleideten Korridor wartete.
»Was halten Sie davon?«
»Ich glaube, sie erzählt Scheiße.« Ich hob die Hand, um Ortegas Wutausbruch zuvorzukommen. »Nein, hören Sie mir zu. Ich glaube ihr, dass Miriam Bancroft etwas Unheimliches an sich hat. Das will ich nicht abstreiten. Aber es gibt ungefähr fünfzig Gründe, warum sie nicht zum Täterprofil passt. Verdammt noch mal, Ortega, Sie haben sie polygrafisch getestet!«
»Ja, ich weiß.« Ortega folgte mir durch den Korridor. »Aber genau deswegen bin ich ins Grübeln gekommen. Sie müssen wissen, dass sie sich freiwillig für diesen Test gemeldet hat. Ich meine, als Zeugin ist sie sowieso dazu verpflichtet, aber sie hat sich praktisch aufgedrängt, unmittelbar nachdem ich die Szene betreten hatte. Kein Geflenne über den Verlust ihres Lebenspartners, nicht eine einzige Träne. Sie sprang sofort in den Kreuzer und wollte den Test hinter sich bringen.«
»Also?«
»Also denke ich jetzt über das nach, was Sie sagten, als Sie den Bluff mit Rutherford durchgezogen haben. Sie sagten, man hätte Sie dabei polygrafieren können, ohne dass…«
»Ortega, das ist meine Envoy-Konditionierung. Reine geistige Disziplin. Nichts Körperliches. So etwas kann man nicht im SleeveMart kaufen.«
»Miriam Bancroft trägt einen hochmodernen Nakamura-Körper. Man wirbt mit ihrem Gesicht, um den Verkauf anzukurbeln.«
»Hat Nakamura etwas im Angebot, das einen polygrafischen Test der Polizei täuschen kann?«
»Nicht offiziell.«
»Dann sollten Sie vielleicht…«
»Hören Sie auf, so begriffsstutzig zu tun. Haben Sie noch nie von personalisiertem Biochem gehört?«
Ich blieb vor der Treppe stehen, die zum Empfang führte, und schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht. Dass sie ihren Mann mit einer Waffe erschießt, zu der nur sie und er Zugang haben. Niemand wäre so dumm.«
Ich stieg hinauf, dicht gefolgt von Ortega.
»Denken Sie darüber nach, Kovacs. Ich behaupte nicht, dass es vorsätzlich war.«
»Und was ist mit der externen Speicherung? Es war ein sinnloses Verbrechen…«
»Ich behaupte auch nicht, dass es rational war, aber es kann nur…«
»Es kann nur jemand gewesen sein, der nicht wusste…«
»Scheiße! Kovacs!«
Ortegas Stimme sprang plötzlich eine ganze Oktave höher.
Inzwischen hatten wir den Empfang erreicht. Links warteten immer noch zwei Kunden, ein Mann und eine Frau, die ein großes, in Papier gehülltes Paket dabei hatten und in eine Diskussion vertieft waren. Rechts nahm ich aus dem Augenwinkel etwas Hellrotes wahr, das nicht hierher gehörte. Es war Blut.
Die alte Asiatin war tot. Die Kehle war mit etwas Metallischem durchgeschnitten, das noch tief in der Halswunde steckte und glitzerte. Der Kopf lag in einer Pfütze ihres Blutes auf dem Schreibtisch.
Meine Hand griff nach der Nemex. Neben mir hörte ich ein Schnappen, als Ortega eine Patrone in die Kammer ihrer Smith & Wesson lud. Ich wirbelte zu den zwei wartenden Kunden mit dem Paket herum.
Die Zeit dehnte sich wie im Traum. Das Neurachem bremste alles auf ein unwirklich langsames Tempo ab, bis die einzelnen Bilder wie Herbstlaub zu Boden schwebten.
Das Paket war jetzt offen. Die Frau hielt eine kompakte Sunjet in der Hand, der Mann eine Maschinenpistole. Ich zog die Nemex und schoss aus der Hüfte.
Die Eingangstür flog auf, und eine weitere Gestalt trat in die Öffnung, in jeder Faust eine Pistole.
Neben mir ballerte Ortegas Smith & Wesson und schleuderte den Neuankömmling durch die Tür zurück, als würden die Bilder seiner Ankunft nun rückwärts abgespielt.
Mein erster Schuss zerriss die Kopfstütze des Sessels der Frau und hüllte sie in eine Wolke aus weißen Polsterfetzen. Die Sunjet stieß einen knisternden Strahl aus, der weit daneben ging. Meine zweite Patrone ließ ihren Kopf explodieren, und die weißen Flocken wurden rot.
Ortega brüllte vor Wut. Sie feuerte immer noch, nach oben, wie ich am Rande meines Gesichtsfelds bemerkte. Irgendwo über uns ließen ihre Schüsse Glas zersplittern.
Der Mann mit der MP rappelte sich auf. Ich erkannte die nichts sagenden Züge eines Synth und schickte zwei Patronen in seine Richtung. Er wurde gegen die Wand zurückgeschleudert, aber er schaffte es trotzdem, die
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