Das Unsterblichkeitsprogramm
Carlyle hatte mir auf meiner Welt beigebracht, wie man einkaufte. Davor hatte ich immer eine Technik angewandt, die sich am besten als präziser Vorstoß beschreiben ließ. Man identifizierte sein Ziel, ging hinein, holte es und ging wieder hinaus. Bekam man nicht, was man wollte, ging man zur Schadensbegrenzung ebenso schnell wieder hinaus. Während der Zeit, die wir zusammen waren, gewöhnte Durchlaucht Carlyle mir diese Taktik ab und verkaufte mir ihre Philosophie des Konsumierens durch Flanieren.
»Überleg mal«, hatte sie mir eines Tages in einem Kaffeehaus von Millsport erklärt. »Das Einkaufen an sich, den physisch realen Vorgang, hätte man schon vor Jahrhunderten abschaffen können, wenn sie es so gewollt hätten.«
»Wer?«
»Die Leute. Die Gesellschaft.« Sie wedelte ungeduldig mit der Hand. »Wer auch immer. Schon damals waren alle Voraussetzungen geschaffen. Bestellung per Post, virtuelle Supermärkte, automatische Bezahlsysteme. Es hätte sich durchsetzen können, aber dazu kam es nie. Was sagt dir das?«
Als zweiundzwanzigjährigem Fußsoldaten des Marine Corps, der kaum den Straßengangs von Newpest entwachsen war, sagte mir das gar nichts. Carlyle sah meine hilflose Miene und seufzte.
»Es sollte dir sagen, dass die Leute gerne einkaufen gehen. Dass es ein genetisch bedingtes Grundbedürfnis befriedigt. Es ist etwas, das wir von unseren Vorfahren geerbt haben, die als Jäger und Sammler lebten. Sicher, es gibt automatisierte Warenlieferungssysteme für die Dinge des täglichen Bedarfs, mechanisierte Lebensmittelverteilung für einkommensschwache Randgruppen. Aber gleichzeitig gibt es florierende Einkaufszentren und Spezialitätengeschäfte für Lebensmittel und handwerkliche Erzeugnisse, die die Menschen persönlich aufsuchen müssen. Warum sollten sie das tun, wenn es ihnen keinen Spaß machen würde?«
Wahrscheinlich zuckte ich die Achseln und wahrte meine jugendliche Coolness.
»Das Einkaufen ist eine physische Interaktion, die Übung der Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen, und ein Impuls, mehr zu erwerben, der Drang zur Erkundung. Das alles ist eine grundlegend menschliche Eigenschaft. Du musst lernen, Spaß daran zu finden, Tak. Ich meine, du kannst den gesamten Archipel mit einem Hover überqueren, du musst überhaupt nicht nass werden. Aber das ändert nichts daran, dass Schwimmen weiterhin Vergnügen bereitet, nicht wahr? Lerne gut einzukaufen, Tak. Werde flexibler. Genieße die Ungewissheit.«
Was ich im Augenblick empfand, war keineswegs Vergnügen, aber ich bemühte mich und blieb flexibel, gemäß Serenity Carlyles Credo. Ich begann mit der unbestimmten Suche nach einer strapazierfähigen wetterfesten Jacke, aber was mich schließlich in ein Geschäft lockte, war ein Paar geländetauglicher Stiefel.
Auf die Stiefel folgten eine bequeme schwarze Hose und ein gefüttertes Top im Wickellook mit Enzymverschlüssen, die von der Taille bis zum engen Halsausschnitt verliefen. Ich hatte Variationen dieses Outfits bereits hunderte Male auf den Straßen von Bay City gesehen. Oberflächenassimiliation. Das musste genügen. Nach kurzer verkaterter Überlegung fügte ich ein trotziges rotes Seidentuch hinzu, das ich mir um die Stirn band, im besten Gangsterstil von Newpest. Das war zwar nicht gerade assimilativ, aber es passte zur leicht rebellischen Verärgerung, die sich seit gestern in mir angesammelt hatte. Ich warf Bancrofts Sommeranzug in einen Container auf der Straße und ließ die Schuhe daneben stehen.
Doch zuvor durchsuchte ich die Jackentaschen und stieß auf zwei Visitenkarten: die der Ärztin von Bay City Central und die von Bancrofts Waffenhändler.
Es stellte sich heraus, dass Larkin und Green nicht die Namen zweier Waffenmeister waren, sondern die zweier Straßen, die sich auf einer grün belaubten Anhöhe namens Russian Hill kreuzten. Das Autotaxi hatte einiges Werbematerial für die Umgebung anzubieten, aber ich ignorierte es. »Larkin & Green, Waffenmeister seit 2203« war eine diskrete Eckhausfassade, die auf jeder Seite höchstens ein halbes Dutzend Meter in beide Straßen hineinreichte, doch dahinter befanden sich heruntergelassene Rollläden, die den Eindruck machten, als würden die Räume zum Geschäft gehören. Ich drückte die gepflegte Holztür auf und trat in den kühlen, nach Öl riechenden Innenraum.
Die Einrichtung erinnerte mich an den Kartenraum im Suntouch House. Es war geräumig, und Licht flutete durch Fenster herein, die sich über zwei
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