Das unvollendete Bildnis
gewesen sei.»
«War es das nicht?»
«Nein, ich habe es genossen», sagte sie mit offensichtlicher Befriedigung. «Mein Gott, wie hat dieser brutale Mensch, dieser Depleach, auf mir herumgehackt. Aber es war ein Genuss für mich, denn er hat mich nicht kleingekriegt.» Lächelnd blickte sie Poirot an. «Ich hoffe, ich zerstöre nicht Ihre Illusionen. Ich hätte mich, als Mädchen von zwanzig Jahren, eigentlich vor Scham winden müssen, hätte mich verkriechen müssen, aber ich dachte nicht daran. Es war mir ganz gleich, was man über mich sagte. Ich wollte nur eines!»
«Und das war?»
«Dass sie gehängt würde, natürlich!»
Er blickte auf ihre Hände, schöne Hände mit langen gewölbten Nägeln – räuberische Hände.
«Sie halten mich für rachsüchtig? Ja, ich bin rachsüchtig, wenn man mir etwas angetan hat. Diese Frau war meiner Ansicht nach das gemeinste, was man sich vorstellen kann. Sie wusste, dass Amyas mich liebte, sie wusste, dass er sie verlassen wollte, und sie brachte ihn um, damit ich ihn nicht bekäme. Finden Sie das nicht auch gemein?»
«Sie haben wohl kein Verständnis für Eifersucht?»
«Nein. Wenn man verloren hat, hat man verloren. Wenn man seinen Mann nicht halten kann, lässt man ihn eben gehen. Diese Besitzgier begreife ich nicht.»
«Sie hätten sie vielleicht begriffen, wenn Sie ihn geheiratet hätten.»
«Das glaube ich nicht. Wir waren nicht…»
Sie lächelte Poirot plötzlich an. Er fand dieses Lächeln erschreckend – es war völlig gefühllos.
«Etwas möchte ich klarstellen: Glauben Sie nur nicht, dass Amyas Crale ein unschuldiges junges Mädchen verführt hätte. Kein Gedanke! Ich war die Verantwortliche. Ich habe ihn auf einer Gesellschaft kennen gelernt, und ich flog ihm zu… ich wusste, dass ich ihn haben musste…»
«Obwohl er verheiratet war?»
«Was bedeutet schon der Trauschein? Wenn er mit seiner Frau unglücklich war und mit mir glücklich sein konnte, warum nicht? Wir alle haben nur ein Leben zu leben.»
«Aber es heißt, er wäre mit seiner Frau glücklich gewesen.»
Elsa schüttelte den Kopf.
«Nein, sie lebten wie Hund und Katze, sie stritten sich dauernd, sie nörgelte an ihm herum… sie war… oh, sie war ein grässliches Weib!»
Sie stand auf und zündete sich eine Zigarette an, dann fuhr sie leicht lächelnd fort:
«Wahrscheinlich bin ich ungerecht ihr gegenüber. Aber ich glaube wirklich, dass sie grässlich war.»
«Es war eine große Tragödie», sagte Poirot.
«Ja, eine große Tragödie.»
Sie wandte sich ihm plötzlich zu, und in die müde Gleichförmigkeit ihrer Züge kam etwas Leben.
«Und ich war es, die dabei getötet wurde, verstehen Sie? Mich hat es getötet. Seitdem habe ich nichts mehr… gar nichts.» Ihre Stimme wurde flach, beinahe tonlos. «Leere!» Sie machte eine wütende Handbewegung. «Wie ein ausgestopfter Fisch in einem Glaskasten!»
«Hat Ihnen Amyas Crale so viel bedeutet?»
Sie nickte. Es wirkte irgendwie vertraulich, fast rührend.
«Ich bin immer direkt auf mein Ziel losgegangen.» Düster überlegte sie. «Wirklich, man sollte sich einen Dolch in die Brust stoßen, wie Julia. Aber das wäre das Eingeständnis, dass man erledigt ist… dass das Leben einen besiegt hat.»
«Und stattdessen?»
«Sollte man sich alles nehmen… genau wie vorher… wenn man erst einmal darüber hinweggekommen ist. Ich kam darüber hinweg. Es bedeutete mir nichts mehr, ich glaubte, ich könnte zum nächsten Akt übergehen.»
Ja, zum nächsten Akt. Poirot sah sie klar vor sich, wie sie mit aller Macht versuchte, diesen Entschluss durchzuführen. Er sah sie – schön, reich, verführerisch, sah, wie sie mit gierigen, räuberischen Händen versuchte, ein Leben zu füllen, das leer war. Sie hatte sich wohl von Heldenverehrung etwas erhofft: Heirat mit einem berühmten Flieger… dann mit einem Forschungsreisenden, diesem Riesen Arnold Stevenson, der wahrscheinlich äußerlich Amyas Crale glich… dann eine andere Version der schöpferischen Kunst: Dittisham!
Sie fuhr fort: «Ich war nie eine Heuchlerin. Es gibt ein spanisches Sprichwort, das mir von jeher gefallen hat: ‹Nimm, was du haben willst, und zahle dafür, sagt Gott!› Genau das habe ich getan. Ich nahm, was ich haben wollte, aber ich war stets bereit, dafür zu zahlen.»
«Sie verstehen aber eines nicht: Es gibt Dinge, die man nicht kaufen kann», widersprach Poirot.
Sie starrte ihn an und sagte: «Ich meine nicht nur Geld.»
«Ich verstehe, was Sie meinen.
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