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Das unvollendete Bildnis

Das unvollendete Bildnis

Titel: Das unvollendete Bildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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Oder sagten diese Augen etwas, was sie selbst nicht wusste?
    Diese Arroganz, diese triumphierende Vorfreude. Und dann hatte der Tod eingegriffen und hatte diesen gierigen, zupackenden Händen die Beute entrissen… das Licht war aus den leidenschaftlichen, erwartungsvollen Augen geschwunden. Wie waren die Augen von Elsa Greer heute?
    Nach einem letzten Blick auf das Bild verließ er den Raum. Er dachte: Sie hatte zu viel Leben in sich.
    Und eine leichte Furcht überfiel ihn…

8
     
    A uf den Fensterbänken des Hauses in der Brook Street prangten Tulpen, und in der Halle stand eine große Vase mit weißen Lilien, die einen starken Duft verströmten.
    Ein älterer Butler nahm Poirot Hut und Stock ab, gab sie einem Lakai und murmelte ehrerbietig: «Darf ich bitten, Sir?»
    Poirot folgte ihm durch die Halle, eine Tür wurde geöffnet, und der Butler meldete ihn an. Ein großer schlanker Mann erhob sich aus einem Sessel beim Kamin und kam ihm entgegen.
    Lord Dittisham, ein Mann Ende der Dreißig, war nicht nur Mitglied des Oberhauses, er war auch ein Dichter. Zwei seiner allegorischen Dramen waren unter großen Kosten aufgeführt worden und hatten einen Achtungserfolg erzielt.
    «Nehmen Sie doch bitte Platz, Monsieur Poirot.»
    Poirot setzte sich und nahm die ihm angebotene Zigarette. Dittisham gab ihm Feuer, dann setzte auch er sich und blickte seinen Besucher an.
    «Sie wollen meine Frau sprechen.»
    «Lady Dittisham war so liebenswürdig, mir eine Unterredung zu gewähren.»
    «Ich weiß.»
    Eine Pause folgte, und schließlich sagte Poirot auf gut Glück: «Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen, Lord Dittisham?»
    Auf dem träumerischen Gesicht erschien ein Lächeln.
    «Die Einwände der Ehemänner, Monsieur Poirot, werden heutzutage nicht mehr ernst genommen.»
    «Dann haben Sie also etwas dagegen?»
    «Nein, das könnte ich nicht sagen. Aber, offen gestanden, fürchte ich mich vor der Wirkung, die diese Unterredung auf meine Frau haben könnte. Vor vielen Jahren, als meine Frau noch ein blutjunges Mädchen war, hatte sie dieses schreckliche Erlebnis. Sie ist meiner Ansicht nach darüber hinweggekommen und hat es vergessen. Nun tauchen Sie auf, und Ihre Fragen werden selbstverständlich alles wieder in ihr aufrühren.»
    «Das tut mir sehr leid», erwiderte Poirot höflich.
    «Und ich weiß natürlich nicht, was die Folge davon sein wird.»
    «Ich kann Ihnen nur versichern, Lord Dittisham, dass ich so diskret wie möglich vorgehen werde, um die Gefühle Ihrer Frau Gemahlin zu schonen. Zweifellos ist sie zart und empfindsam.»
    Überraschenderweise lachte der Lord.
    «Elsa? Elsa ist kräftig wie ein Pferd.»
    «Dann…» Poirot machte eine diplomatische Pause.
    Dittisham fuhr fort: «Meine Frau kann jeden Schock vertragen. Wissen Sie eigentlich, aus welchem Grund sie Sie empfängt?»
    «Aus Neugierde?», fragte Poirot selbstgefällig.
    «Oh, Sie sind sich darüber klar?»
    «Natürlich. Die meisten Damen lernen gern einen Privatdetektiv kennen, während die Männer ihn zum Teufel wünschen.»
    «Aber auch manche Damen würden ihn zum Teufel wünschen.»
    «Nachdem sie ihn kennen gelernt haben, vorher nicht.»
    «Mag sein.» Nach einer kurzen Pause fragte Dittisham: «Was ist eigentlich der Zweck dieses Buches?»
    Poirot zuckte die Achseln.
    «Man gräbt alte Melodien, alte Sitten und Gebräuche, alte Kostüme aus, man gräbt auch die alten Mordfälle aus.»
    «Ein Unfug!»
    «Wenn Sie wollen, ein Unfug. Aber Sie können die menschliche Natur nicht ändern. Mord ist ein Drama, und die Menschen scheinen Dramen zu lieben.»
    «Ich weiß… ich weiß…», murmelte Dittisham.
    «Daher wird dieses Buch geschrieben. Meine Aufgabe ist es zu verhindern, dass nicht zu schwere Irrtümer unterlaufen, dass die Tatsachen nicht verdreht werden.»
    «Soviel ich weiß, sind die Tatsachen doch geklärt worden?»
    «Ja, aber nicht ihre Auslegung.»
    «Was wollen Sie damit sagen, Monsieur Poirot?», fragte Dittisham scharf.
    «Mein lieber Lord Dittisham, es gibt viele Möglichkeiten, ein historisches Ereignis auszulegen. Nur ein Beispiel: Über Maria Stuart sind unzählige Bücher geschrieben worden, in denen sie abwechselnd als Märtyrerin, als hemmungslose, sittenlose Frau, als schlichte Heilige, als Mörderin und Intrigantin oder als Opfer der Umstände geschildert wurde. Man kann es sich auswählen.»
    «Und in diesem Fall?», entgegnete Dittisham. «Crale wurde von seiner Frau umgebracht, darüber besteht kein Zweifel. Während der

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