Das unvollendete Bildnis
uns hinauf, und während wir auf der Terrasse Platz nahmen, ging sie ins Haus. Nach etwa fünf Minuten brachte uns Angela zwei Flaschen Bier und Gläser, was wir sehr begrüßten, da es heiß war. Dann kam Caroline mit einer Flasche Bier in der Hand und sagte, die würde sie Amyas bringen. Meredith bot ihr an, das für sie zu erledigen, aber sie lehnte ab. Dumm wie ich war, glaubte ich, dass sie nur aus Eifersucht selber gehen wollte, dass sie es nicht ertragen könne, die beiden allein zu wissen, und aus demselben Grund auch zuvor bei Amyas gewesen war – unter dem Vorwand, mit ihm über Angelas Abreise ins Internat sprechen zu müssen.
Meredith und ich wollten eben unser Gespräch fortsetzen, als Angela kam und mich bat, mit ihr schwimmen zu gehen. Da es unmöglich schien, jetzt mit Meredith allein zu sprechen, sagte ich zu ihm nur: «Nach dem Mittagessen», und er nickte. Nachdem ich mit Angela quer über die Bucht und zurück geschwommen war, legten wir uns auf die Felsen in die Sonne. Ich dachte noch mal über alles nach und beschloss, mir nach dem Essen Caroline vorzuknöpfen, da Meredith dazu bestimmt zu schwach war. Ich war ziemlich sicher, dass sie das Gift genommen hatte und nicht Elsa, da die für so etwas viel zu vorsichtig war. Zudem hielt ich es noch immer für möglich, dass Meredith sich geirrt hatte.
Als ich nach der Uhr sah, war es schon ziemlich spät, und wir mussten uns beeilen, um rechtzeitig zum Essen zu kommen. Es waren alle schon bei Tisch, außer Amyas, der seine Arbeit nicht hatte unterbrechen wollen. Er kam öfter aus diesem Grund nicht zum Essen, und ich begrüßte das heute besonders.
Den Kaffee tranken wir auf der Terrasse. Caroline zeigte keine Spur von Erregung; soweit ich mich erinnere, war sie völlig ruhig und blickte traurig drein.
Es hat etwas Teuflisches, kalten Blutes einen Menschen zu vergiften. Wenn sie einen Revolver genommen und ihn erschossen hätte – ich hätte es eher verstanden. Aber diese kalte, vorbedachte, rachsüchtige Tat… und dabei so ruhig und gefasst zu bleiben…
Sie stand auf und erklärte ganz natürlich, sie wolle Amyas Kaffee bringen. Und dabei wusste sie – sie muss es gewusst haben –, dass sie ihn tot vorfinden würde. Miss Williams begleitete sie, ich weiß nicht mehr, ob auf Carolines Wunsch hin. Meredith folgte ihnen nach einer Weile. Ich wollte ihm gerade nachgehen, als er zurückgelaufen kam; sein Gesicht war leichenblass, und er keuchte: «Ein Arzt… schnell… Amyas…»
Ich sprang auf.
«Ist er krank… stirbt er?»
«Ich glaube, er ist tot…»
Wir hatten gar nicht an Elsa gedacht, die plötzlich wie eine Besessene schrie:
«Tot? Tot…»
Dann rannte sie davon.
Meredith keuchte:
«Lauf ihr nach, ich werde den Arzt anrufen. Gib Acht auf sie, man kann nicht wissen, was sie tut.»
Ich ging ihr nach, und das war gut, denn sie hätte Caroline beinahe umgebracht. Ich habe noch nie einen solchen Wut- und Hassausbruch, einen derart elementaren Schmerz erlebt. Der letzte Rest von Benehmen und Erziehung fiel von ihr ab. Ihres Liebhabers beraubt, war sie nur noch Weib. Sie hätte Caroline am liebsten das Gesicht zerkratzt, sie an den Haaren zur Brüstung geschleift und hinuntergeworfen. Sie glaubte aus irgendeinem Grund, Caroline habe ihn erstochen; sie wusste natürlich noch nicht Bescheid.
Ich hielt sie fest, und dann griff Miss Williams ein. Sie benahm sich fabelhaft, das muss ich sagen. Innerhalb weniger Sekunden hatte sie Elsa zur Vernunft gebracht. Sie herrschte sie an, dieses Getue sei unerträglich. Sie war ein Unmensch, diese Miss Williams, aber sie hatte Erfolg. Elsa wurde ruhig, sie keuchte und zitterte nur noch.
Und Caroline stand ganz ruhig da, wie betäubt. Aber sie war nicht betäubt, ihre Augen verrieten sie. Sie war auf der Hut und beobachtete alles. Ich vermute, dass sie es nun doch mit der Angst zu tun bekommen hatte…
Ich trat zu ihr und sagte leise, sodass die andern es nicht hören konnten:
«Du verdammte Mörderin, du hast meinen besten Freund umgebracht!»
Sie prallte zurück und stieß hervor:
«Nein… nein… er… er hat es selbst getan…»
Ich blickte sie durchdringend an und sagte:
«Das kannst du der Polizei erzählen.»
Sie tat es, und die Polizei glaubte ihr nicht.
2
Bericht von Meredith Blake
S ehr geehrter Monsieur Poirot,
wie ich Ihnen versprach, sende ich Ihnen beiliegend einen Bericht über die tragischen Ereignisse, die sich vor sechzehn Jahren abgespielt haben. Ich habe noch
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