Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das unvollendete Bildnis

Das unvollendete Bildnis

Titel: Das unvollendete Bildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
Vom Netzwerk:
anderes zu sprechen. Ich hoffte, dass sie sich keine Sorgen mehr machen würde.
    Kurz danach ging Elsa nach London zurück, und auch Amyas verreiste für einige Wochen. Ich hatte die Angelegenheit vergessen, aber später hörte ich, dass Elsa nach Alderbury zurückgekommen sei, weil Amyas das Bild fertig malen wolle.
    Diese Nachricht betrübte mich, doch als ich Caroline das nächste Mal sah, war sie nicht sehr mitteilsam gestimmt; sie schien gelassen wie immer, in keiner Weise beunruhigt, und so nahm ich an, dass alles in Ordnung sei.
    Um so bestürzter war ich daher, als ich erfuhr, wie sich die Situation zugespitzt hatte. Ich habe Ihnen meine Unterhaltung mit Crale und Elsa bereits geschildert. An dem Nachmittag ergab sich keine Gelegenheit, mit Caroline zu sprechen; wir konnten, wie ich Ihnen sagte, nur ein paar Worte über den bewussten Gegenstand wechseln. Ich sehe noch heute ihr Gesicht vor mir, die weit aufgerissenen dunklen Augen, und höre sie sagen:
    «Alles ist zu Ende…»
    Ich kann Ihnen die entsetzliche Trostlosigkeit, die in diesen Worten lag, gar nicht beschreiben. Da Amyas sie verlassen wollte, war für sie alles zu Ende. Und darum nahm sie das Koniin, davon bin ich überzeugt. Es war der Ausweg für sie, den ich ihr durch meinen blöden Vortrag gewiesen hatte. Und die Stelle aus Phaidon, die ich vorlas, vermittelt ein lockendes Bild des Todes.
    Ich glaubte jetzt, dass sie das Koniin genommen hat, um ihrem Leben ein Ende zu bereiten, falls Amyas sie verließ. Vielleicht hat er gesehen, wie sie es nahm, oder hat es später bei ihr entdeckt. Diese Entdeckung hatte eine fürchterliche Wirkung auf ihn. Er war entsetzt darüber, wie weit sein Verhalten sie getrieben hatte. Doch trotz seiner Gewissensbisse konnte er sich nicht dazu entschließen, Elsa aufzugeben. Ich verstehe das. Wer sich einmal in sie verliebt hatte, konnte nicht mehr von ihr loskommen.
    Er konnte sich das Leben ohne Elsa nicht vorstellen, aber er war sich auch klar darüber, dass Caroline ohne ihn nicht leben wollte, und so fand er, der einzige Ausweg für ihn sei, das Gift zu nehmen.
    Und die Art, wie er es tat, war charakteristisch für ihn. Die Malerei war für ihn das wichtigste im Leben, und so beschloss er, mit dem Pinsel in der Hand zu sterben, vor sich das Gesicht des Mädchens, das er so leidenschaftlich liebte. Er mag geglaubt haben, dass es auch für sie das Beste wäre, wenn er stürbe…
    Ich gebe zu, dass diese Theorie einige Unwahrscheinlichkeiten enthält. Warum, zum Beispiel, waren nur Carolines Fingerabdrücke auf dem leeren Koniinfläschchen? Ich kann mir nur denken, dass, nachdem Amyas es benutzt hatte, seine Abdrücke durch die Strümpfe, in die das Fläschchen eingewickelt war, verwischt worden waren und dass Caroline es nach seinem Tod in die Hand nahm, um nachzusehen, ob jemand es berührt habe. Das wäre doch möglich und plausibel? Und was die Fingerabdrücke auf der Bierflasche angeht, so hatte ja der Verteidiger erklärt, dass sich die Finger eines Menschen unter der Einwirkung des Giftes verzerren und daher die Flasche völlig unnatürlich packen.
    Es bleibt noch Carolines Verhalten während der Verhandlung zu erklären. Ich glaube, nun den Grund dafür erkannt zu haben: Sie hielt sich für seinen Tod verantwortlich, denn sie hatte das Gift aus meinem Laboratorium genommen und durch ihre Absicht, es selbst zu benutzen, ihren Mann dazu getrieben, sich das Leben zu nehmen. Sie redete sich also ein, des Mordes schuldig zu sein, wenn auch nicht der Art von Mord, deren sie angeklagt war.
    Ich halte all das für möglich. Und wenn es so war, wird es Ihnen leicht fallen, die kleine Carla davon zu überzeugen. Sie kann dann ihren jungen Mann heiraten und sich mit dem Gedanken trösten, dass die einzige Schuld ihrer Mutter darin bestand, dass sie sich das Leben hatte nehmen wollen.
    Doch all das wollten Sie ja gar nicht von mir wissen, sondern Sie wollten einen Bericht über die Ereignisse haben, soweit ich mich noch an sie erinnere. Ich habe Ihnen bereits ausführlich die Geschehnisse am Tag vor Amyas’ Tod geschildert. Kommen wir jetzt zu dem Tag selbst.
    Ich hatte sehr schlecht geschlafen; der Gedanke an die beunruhigende Situation bei meinen Freunden verfolgte mich. Schließlich fiel ich gegen sechs Uhr morgens in einen tiefen Schlaf und wachte erst gegen halb zehn wie gerädert auf. Kurz danach hörte ich ein Geräusch im Laboratorium wahrscheinlich eine Katze, die durch das Spaltbreit offen stehende Fenster

Weitere Kostenlose Bücher