Das unvollendete Bildnis
alles gehört haben musste. Als sie mich sah, stand sie auf, kühl bis ans Herz hinan, kam auf mich zu, nahm lächelnd meinen Arm und sagte:
«Ist dies nicht ein zauberhafter Morgen?»
Ein kaltschnäuziges Mädchen! Sie interessierte sich nur für das, was sie haben wollte, aber sie war offen und ehrlich.
Wir standen etwa fünf Minuten auf der Terrasse und plauderten, als die Bibliothekstür zugeschmettert wurde und Amyas mit hochrotem Kopf herauskam. Ohne Umschweife packte er Elsa an der Schulter und sagte:
«Komm zur Sitzung. Ich will das Bild fertig machen.»
«Gut. Ich hole mir nur noch rasch einen Pullover.»
Ich war neugierig, ob Amyas mir etwas sagen würde, aber er stieß nur hervor:
«Diese Weiber!»
Dann warteten wir schweigend, bis Elsa zurückkam. Die beiden gingen hinunter zur Schanze, und ich begab mich in die Halle, wo Caroline stand. Ich glaube, dass sie mich nicht einmal bemerkte; sie murmelte etwas vor sich hin, wovon ich nur verstehen konnte:
«Er ist so grausam…»
Dann ging sie, als habe sie eine Eingebung, an mir vorbei die Treppe hinauf, ohne mich zu beachten. Ich glaube – ich kann es nicht mit Bestimmtheit behaupten –, dass sie damals den endgültigen Entschluss zu ihrer Tat fasste und das Gift holte.
In diesem Augenblick läutete das Telefon, und ich nahm den Hörer ab. Mein Bruder Meredith war am Apparat und erzählte mir höchst aufgeregt, dass die Flasche mit dem Koniin halb leer sei.
Ich ging ihm entgegen, und zwar auf dem Pfad, der unten an der Schanze entlang zur Anlegestelle in der Bucht führt. Ich hörte, wie sich Elsa und Amyas unterhielten, während er malte. Es klang vergnügt und sorglos. Dann sah ich Meredith kommen. Er sah wachsbleich aus und sagte aufgeregt:
«Du hast einen besseren Kopf als ich, Philip. Was soll ich nur tun? Es ist ein gefährliches Gift.»
«Bist du auch ganz sicher?», fragte ich. Meredith war immer etwas zerstreut, und daher nahm ich seinen Bericht nicht so ernst, wie ich es hatte tun müssen.
Er sei ganz sicher, erwiderte er, die Flasche sei gestern noch voll gewesen.
«Und du hast keine Ahnung, wer es genommen haben könnte?», fragte ich.
Er verneinte und fragte mich, ob es wohl einer von den Dienstboten gewesen sein könnte? Das schien mir möglich, aber nicht wahrscheinlich. Er erklärte, er halte die Tür immer sorgfältig verschlossen, das Fenster sei aber einen Spaltbreit offen gewesen und vielleicht wäre jemand auf diesem Wege eingedrungen.
«Ein Einbrecher?», fragte ich skeptisch und fügte hinzu, dass wahrscheinlich, wenn seine Erzählung überhaupt stimme, Caroline das Zeug genommen habe, um Elsa zu vergiften, oder Elsa, um Caroline aus dem Weg zu räumen und sich auf diese Weise den Pfad der Liebe zu ebnen.
Meredith jammerte und sagte, das sei doch absurd, und was er denn tun solle.
Narr, der ich war, antwortete ich:
«Wir müssen uns das sorgfältig überlegen. Entweder musst du deinen Verlust verkünden, wenn alle dabei sind, oder, noch besser, dir Caroline vorknöpfen und es ihr auf den Kopf zusagen. Wenn sie dich überzeugt, dass sie es nicht genommen hat, musst du als nächste Elsa befragen.»
Er erwiderte: «So ein junges Mädchen, das ist doch unmöglich.»
Ich sagte, ich würde ihr alles zutrauen.
Als wir unterhalb der Schanze vorbeikamen, hörten wir Carolines Stimme. Ich glaubte, es sei wieder ein Krach wegen Elsa im Gang, aber Amyas und sie sprachen gerade über Angela. Caroline sagte: «Es ist sehr schwer für das Mädchen.» Aber Amyas schien nichts davon hören zu wollen; seine Erwiderung klang ärgerlich. Als wir zur Pforte kamen, wurde diese gerade geöffnet, und Caroline trat heraus. Bei unserem Anblick schrak sie leicht zusammen und sagte dann:
«Guten Morgen, Meredith. Wir haben gerade darüber gesprochen, ob Angela wirklich ins Internat soll. Ich weiß nicht, ob es gut ist für sie.»
Amyas rief:
«Mach doch nicht solch ein Theater wegen ihr. Es ist das Beste für sie, und wir sind sie los.»
In dem Moment kam Elsa vom Haus her den Pfad herunter, sie hielt einen roten Jumper in der Hand. Amyas knurrte:
«Na endlich, ich möchte nicht noch mehr Zeit vertrödeln.»
Er trat zu seiner Staffelei, und ich bemerkte, dass er etwas schwankte. Ich überlegte, ob er wohl zu viel getrunken habe, was nach all den Szenen kein Wunder gewesen wäre.
Er knurrte: «Das Bier ist lauwarm. Warum kann man hier kein Eis haben?»
«Ich hole dir Bier aus dem Kühlschrank», sagte Caroline.
Sie kam dann mit
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