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Das Urteil

Titel: Das Urteil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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Kommode reihten sich die Anstecknadeln für treues Erscheinen. Esther Knoblach in der Women's Mission Union hatte zweiundzwanzig Jahre und hielt damit den gegenwärtigen Rekord in der Calvary, aber sie war neunundsiebzig und litt unter zu hohem Blutdruck. Gladys war dreiundsechzig, bei guter Gesundheit, und hielt Esther deshalb für einholbar. Das konnte sie niemandem eingestehen, aber alle in der Calvary argwöhnten es.
    Aber jetzt war es aus damit, dank Richter Harkin, einem Mann, den sie von Anfang an nicht gemocht hatte und jetzt verabscheute. Und der Theologiestudent gefiel ihr auch nicht.
    Rikki Coleman erschien in einem Jogginganzug. Millie Dupree brachte ihre Bibel mit. Loreen Duke war eine fromme Kirchgängerin, war aber bestürzt über die Kürze des Gottesdienstes. Beginn elf Uhr, Ende elf Uhr dreißig, typische Hetzerei der Weißen. Sie hatte von derartigem Unsinn gehört, ihn aber noch nie selbst miterlebt. Ihr Pastor betrat die Kanzel nie vor ein Uhr und verließ sie oft erst um drei wieder; dann folgte eine Pause für den Lunch, den sie im Freien verzehrten, wenn das Wetter gut war, danach kehrten sie für eine weitere Predigt in die Kirche zurück. Sie knabberte an einem Stück Gebäck und litt stumm vor sich hin.
    Mr. und Mrs. Herman Grimes nahmen teil, aber nicht, um irgendeinem Ruf des Glaubens zu folgen, sondern nur, weil ihnen in Zimmer 58 die Decke auf den Kopf fiel. Herman war seit seiner Kindheit nicht mehr freiwillig in die Kirche gegangen.
    Im Laufe des Vormittags hatte sich allgemein herumgesprochen, daß der Gedanke an einen Gottesdienst Phillip Savelle empörte. Er teilte irgend jemandem mit, daß er Atheist sei, und die Nachricht hatte sich blitzschnell verbreitet. Aus Protest setzte er sich auf sein Bett, offenbar nackt oder zumindest fast nackt, faltete seine drahtigen Arme und Beine in irgendeine Art von Joga-Position und sang mit höchster Lautstärke. Bei weit offener Tür.
    Er war während des ganzen Gottesdienstes im Partyraum schwach zu hören, und das trug zweifellos dazu bei, daß der junge Theologiestudent seine Predigt und Segnung so übereilig hinter sich brachte.
    Als erste eilte Lou Dell den Korridor entlang, um Savelle zu sagen, er sollte leise sein, wich aber schnell zurück, als sie merkte, daß er nackt war. Als nächster versuchte es Willis, aber Savelle hielt die Augen geschlossen und den Mund offen und ignorierte den Deputy ganz einfach. Willis hielt Abstand.
    Die Geschworenen, die nicht am Gottesdienst teilnahmen, saßen hinter geschlossenen Türen und schauten auf laut eingestellte Fernseher.
    Um zwei trafen die ersten Angehörigen mit frischer Kleidung und Vorräten für die neue Woche ein. Nicholas Easter war der einzige Geschworene ohne engeren Kontakt zur Außenwelt. Richter Harkin verfügte, daß Willis Easter mit einem Streifenwagen in seine Wohnung fahren durfte.
    Der Brand war seit mehreren Stunden gelöscht. Die Feuerwehr und ihre Wagen waren längst verschwunden. Auf dem schmalen Rasen und dem Gehsteig vor dem Gebäude stapelten sich angekohltes Gerümpel und Haufen von durchweichten Kleidungsstücken. Nachbarn wimmelten herum, fassungslos, aber mit Aufräumarbeiten beschäftigt.
    »Wo ist Ihre Wohnung?« fragte Willis, als er anhielt und zu dem ausgebrannten Krater im Zentrum des Gebäudes hochschaute.
    »Da oben«, sagte Nicholas. Er versuchte, gleichzeitig darauf zu zeigen und zu nicken. Seine Knie wackelten, als er aus dem Wagen ausstieg und auf die erste Gruppe von Leuten zuging, eine Familie von Vietnamesen, die stumm eine halb geschmolzene Plastiklampe betrachteten.
    »Wann ist das passiert?« fragte er. In der Luft lag noch der beißende Geruch von verbranntem Holz, Farbe und Teppichen.
    Sie sagten nichts.
    »Heute morgen gegen acht«, antwortete eine Frau, die gerade mit einem schweren Karton vorbeiging. Nicholas betrachtete die Leute, und ihm wurde klar, daß er nicht einen einzigen Namen kannte. In dem kleinen Foyer war eine Frau mit einem Clipboard damit beschäftigt, sich Notizen zu machen und gleichzeitig mit einem Handy zu telefonieren. An der Haupttreppe zum ersten Stock stand ein privater Wachmann, der gerade einer älteren Frau half, einen nassen Teppich die Treppe herunterzuzerren.
    »Wohnen Sie hier?« fragte die Frau mit dem Clipboard, nachdem sie ihr Telefongespräch beendet hatte.
    »Ja. Easter, in 312.«
    »Oh. Völlig zerstört. Da ist der Brand vermutlich ausgebrochen.«
    »Ich würde gern einen Blick darauf werfen.«
    Der

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