Das Urteil
hob die Hand. Hardy sah, wie Lightner nickte. Jennifers Gesicht hellte sich ein klein wenig auf. »Meine Mom ist da«, sagte sie. »Und Tom.«
Es stimmte. Nancy war gerade hereingekommen. Ihr Sohn hielt sie am Arm. Gestern abend hatte sie ihm erzählt, daß die Beerdigung von Phil am Wochenende stattfinden würde. Sie hatte es nicht mehr geschafft, Jennifer zu besuchen, aber Tom und sie hatten wieder Verbindung aufgenommen. Er war wieder ihr lieber Junge. Sie bekam ihre Kinder zurück. Was für ein Ort dafür, dachte Hardy.
Der Wachtmeister verkündete, daß der Superior Court des Staates Kalifornien, der Stadt und des County von San Francisco unter dem Vorsitz der Richterin Joan Villars tage und die Verhandlung eröffnet sei.
Die Richterin nahm am Richtertisch Platz, der vertraute graue Helm ihres Haars saß perfekt über dem konstant ernsten Gesichtsausdruck. Sie hatte ihre Lesebrille aufgesetzt. Adrienne, die Gerichtsstenographin, hatte ihre Maschine aufgebaut und wartete.
»Na schön«, fing die Richterin an und zupfte ihre Robe zurecht. »Guten Morgen. Mr. Powell, haben Sie ein Statement, das Sie abgeben möchten?«
»Nein, Euer Ehren. Die Jury hat laut und deutlich das Nötige gesagt. Soweit die Stellungnahme der Anklagevertretung.« Er sah auf die Uhr. Ganz offensichtlich ging er nicht davon aus, daß dies lange dauern würde. Er setzte sich wieder hin.
»Mr. Hardy?«
Hardy stand auf und überreichte der Richterin seine Papiere. »Euer Ehren, ich möchte zwei Anträge stellen. Nach den Abschnitten 1179-1181 des Penal Code of the State of California beantrage ich bei dem Gericht die Eröffnung eines neuen Verfahrens. Gleichzeitig habe ich laut Abschnitt 190.4 (e) einen Antrag für das Gericht vorbereitet, die Strafe für Mrs. Witt auf lebenslange Haft ohne die Möglichkeit der Entlassung auf Bewährung abzumildern.«
Villars nickte. Das war zu erwarten gewesen. »Haben Sie neues Beweismaterial, das Sie zu diesem Zeitpunkt zur Untermauerung Ihrer Anträge einbringen wollen?«
»Jawohl, Euer Ehren.«
Powell setzte sich kerzengerade hin und sah zu Hardy hinüber.
Hardy fuhr fort. »Ich habe zwei eidesstattliche Erklärungen, Euer Ehren. Wenn Sie erlauben.« Er ging erneut vor zum Richtertisch und reichte der Richterin die Papiere, die sie sich gründlich durchlas. Sie zog die Brille vor und spähte über sie hinweg zu Hardy hinunter. Dann: »Mr. Powell.« Ihr kleiner Finger winkte ihn heran. Als er neben Hardy stand, erhob sie sich von ihrem Sessel. »Nichtöffentliche Beratung im Richterzimmer«, sagte sie. Dann an den Saal gerichtet: »Das Gericht vertagt sich für zehn Minuten.«
Villars war vorgegangen und hatte hinter ihrem Schreibtisch Platz genommen. Hardy und Powell hatten ihre Sessel geholt und näher herangerückt. Die Richterin saß da und blickte in die Ferne,während Powell die eidesstattlichen Erklärungen las. Als er damit fertig war, legte er sie auf dem Schreibtisch vor ihr ab. »Ich werde keines Ihrer Argumente bezüglich des Antrags auf Eröffnung eines neuen Verfahrens akzeptieren, Mr. Hardy«, sagte Villars. »Ich habe im Verlauf des Verfahrens wiederholt zu diesen Themen Entscheidungen getroffen, und ich bin sicher, daß das für die Berufung zuständige Gericht meinen Entscheidungen folgen wird.«
Hardy atmete langsam aus und bereitete sich auf das Schlimmste vor. Neben ihm konnte er Powells Aufregung, seine Begeisterung spüren. Villars hielt die Papiere aufgeschlagen vor sich hoch, überflog sie erneut, runzelte dabei die Stirn, vielleicht, wie Hardy hoffte, weil sie nach etwas anderem suchte, das sie übersehen hatte. Zuletzt fragte sie: »Ist Lightner der Psychiater, mit dem sie geschlafen hat?«
War das eine mögliche Bresche? Hardy ging zum Angriff über. »Das wurde nie nachgewiesen, Euer Ehren.«
Powell stand halb aus seinem Sessel auf. »Was wollen Sie damit sagen, daß es nie nachgewiesen wurde? Euer Ehren, diese eidesstattlichen Erklärungen hätten schon vor Tagen vorgebracht werden sollen, damit wir uns die Sache hätten ansehen können ...«
»Mr. Powell, bitte. Ich stelle hier die Fragen. Mr. Hardy?«
»Die eidesstattliche Erklärung spricht für sich selbst, Euer Ehren. Dr. Lightner sagt, daß er über bislang nicht zur Sprache gekommene Informationen zur Verfassung Jennifers am Morgen der Morde verfügt. Ihr Ehemann hat sie geschlagen. Falls sie ihn getötet hat, dann geschah dies, um ihr Leben zu retten, und zwar genau in diesem Moment, an jenem Morgen. Es
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