Das Urteil
ihr, sie soll sie herausnehmen und abhauen. Offensichtlich hat sie das nicht getan.«
»Was dann?«
»Am Montag ging es von vorne los.« Und er skizzierte ein Szenario von erschreckender Plausibilität. Hardy traute sich beim Zuhören kaum zu atmen. »Er schlägt sie, und sie sagt, sie wird wirklich weggehen, ihn definitiv verlassen. Sie schreit nach Matt, der nirgends zu finden ist. Vielleicht hat er sich irgendwo versteckt. Jedenfalls faßt Larry, der ihr nachrennt, plötzlich den Entschluß, daß es ihm jetzt reicht. Er rennt nach oben. Weil sie weiß, was er macht - er holt die Waffe -, läuft Jennifer ihm nach, um ihn aufzuhalten, ihn anzuflehen, irgendwas zu unternehmen. Mittlerweile schreit sie hysterisch, genau wie die Nachbarin berichtet hat.
Aber Larry ist nicht im Schlafzimmer. Und die Pistole ist da. Sie packt sie, hört ein Geräusch hinter sich, dreht sich um. Da ist eine zweite Pistole! Sie kommt hinter der Badezimmertür zum Vorschein - da also ist er hineingegangen. Sie schießt. Es ist Matt. Sie hat Matt getroffen, der sich die ganze Zeit über mit seinem neuen Weihnachtsgeschenk im Bad versteckt hat. Eine Spielzeugpistole von seinen Großeltern.
Und plötzlich taucht Larry auf, stürzt auf sie zu, hebt die Hand, um zuzuschlagen. Sie drückt ab, aus nächster Nähe ...« Lightner drehte sich wieder Hardy zu, mußte jetzt mit den Augenlidern zwinkern, als kehre er soeben von einem weit entfernten Ort zurück. »Es war vorbei«, sagte er. »Später hat sie versucht, die Spuren zu verwischen. Aber ihr blieb keine Wahl. Larry hätte sie umgebracht...«
Hardy stand einen langen Augenblick reglos da. Der Verkehrslärm war weg. Die Sonne war untergegangen, aus dem Laub kroch die Kälte heran. Es war eine großartige Verteidigung, wenn die Erzählung der Wahrheit entsprach.
»So glaube ich, ist es vielleicht passiert. Larry ging nach oben, die Pistole zu holen. Es war nicht vorsätzlich. Alles, was Jennifer wollte, war abhauen, sie wollte nur weg von ihm. Sie hätte es längst tun sollen. Es war Notwehr, davon bin ich überzeugt...«
»Werden Sie das morgen vor Gericht bezeugen? Wenn ich eine eidesstattliche Erklärung für Sie habe, werden Sie sie unterschreiben?«
»Was denn? Es gibt keinerlei Beweise dafür. Selbst ich weiß das.«
Auch Hardy wußte es. Aber er brauchte Lightner im Gerichtssaal, brauchte seine Geschichte, eine Geschichte zwar, aber eine sehr ausgefeilte, und zwar für seine eigenen Absich ten. »Lassen Sie das meine Sorge sein. Meine Frage ist, ob ich auf Sie zählen kann. Werden Sie zumindest der Richterin das erzählen, was Sie grade mir erzählt haben?«
Langsam und mit einem bedrückten Seufzer nickte Lightner endlich. »Na schön. Wenn sie mich läßt.«
Rebecca hatte ihren Daddy vermißt.
Er lag auf dem Teppich vor dem Kamin und kuschelte mit ihr. Sie ließ ihn nicht mehr hoch, rang ihn wieder zu Boden, und beide lachten und redeten ihre ureigene Sprache. Rebecca hatte Hardy zehn Minuten ungetrübter Freude mit ihrem Repertoire von Küssen geschenkt - Kaninchenküsse, Nase an Nase; Schmetterlingsküsse, Augenwimpern an Hardys Wange; Herzküsse, die sich Rebecca selbst ausgedacht hat, wo sie sich auf die Hand küßte, diese dann ans Herz preßte und sie dann auf Hardys Herz drückte und dort ließ.
Es war nach der Schlafengehenszeit der Kinder, draußen war es dunkel, drinnen waren die Lichter aus, aber die Familie war wieder zusammen. Das Feuer knisterte. Vincent schlief ein, und Frannie legte ihn aufs Sofa. Sie kam hinunter zu ihnen auf den Fußboden und legte den Kopf auf Hardys Bauch. Rebecca lag tonnenschwer quer über seiner Brust - ihr Atem wurde regelmäßig.
»Kommst du bald ins Bett? Ist nicht morgen der große Tag?«
»Eine Minute noch.«
»Dismas.« Ihre Augen waren sanft, besorgt. Sie kam zu ihm hinüber und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Schatz, es ist elf Uhr.«
Hardy saß an seiner mechanischen Schreibmaschine am Küchentisch, hatte die Stirn in die Hände gelegt, war krank vor Erschöpfung, sein Kopf rotierte wie eine Kreissäge. Er konnte nicht mehr aufhören nachzudenken. Er hatte drei Stunden lang getippt. Zuerst hatte er Lightners vorsichtig formulierte eidesstattliche Erklärung ein wenig aufpoliert. Dann hatte er seinen Antrag nach den Bestimmungen des California Penal Code Abschnitt 190.4 (e) auf Abmilderung der Strafe zu einer lebenslänglichen Haftstrafe ohne Chance auf Bewährung überarbeitet, der völlig auf die Zustimmung der
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