Das verborgene Feuer
und er kniff böse die Augen zusammen.
»Dir ist klar, dass sie das vielleicht nicht begreift?«, fragte Carwyn. »Du weißt –«
»Ich weiß«, brummte er. »Als ich sie ihm überließ, war mir klar, dass Beatrice mir das womöglich nie verzeiht. Aber so ist es besser, als wenn er sie verletzt oder foltert, um es mir heimzuzahlen.«
Er wandte sich ab, lehnte sich an die Wand und rutschte langsam an ihr hinunter. Dann schloss er die Augen, atmete Beatrices Duft tief ein, obwohl er mit dem verhassten Adrenalin vermengt war. Giovanni spürte sein Herz unregelmäßig schlagen, als er auf das Sofa starrte, auf dem Lorenzo Beatrice bedroht hatte, und musste eine weitere Woge des Zorns unterdrücken. Er presste den Hörer fester ans Ohr, damit die Stimme seines Freundes ihn bei Verstand hielt.
»Liebst du sie, Gio?«
Er schloss die Augen, sah aber nur den leeren, tief verletzten Blick, mit dem sie ihn angeschaut hatte, als Lorenzos Schergen sie von hier wegzerrten.
»Was meinst du?«, fragte er mit hohler Stimme.
Wieder gab es eine lange Pause, ehe Carwyn antwortete.
»Wir holen sie zurück.«
»Das tun wir.«
»Und dein Sohn?«
Giovanni biss die Zähne so fest zusammen, dass die Fänge in die Unterlippe schnitten, und genoss den Geschmack des Blutes im Mund und den stechenden Schmerz.
»Mein Sohn wird brennen.«
»Ich erwarte deinen Anruf.«
Giovanni legte auf und stieg die Treppe hoch, ohne Gavin anzusehen. Nach zehn Minuten war er angezogen, hatte sich die versengten Haare abgeschnitten, kam wieder herunter und verweilte kurz in Beatrices Schlafzimmer, sog ihren Geruch ein und betrachtete die Dinge, die an sie erinnerten.
Da war der Bücherstapel auf dem Nachtschrank. Sie hatte ihre Lektüre im ganzen Haus wie Vorräte verteilt, sodass sie jederzeit weiterlesen konnte, wenn sich ein wenig Zeit dafür fand. Ihre Stiefel standen neben dem Wandschrank. An diesem Nachmittag hatte Beatrice sie bei der Arbeit nicht getragen, und er wünschte unwillkürlich, sie hätte es getan, als könnte robustes Schuhwerk sie vor den Ungeheuern schützen, die sie verschleppt hatten.
Ein kleines Foto von Beatrice und Isadora stand gerahmt auf dem Nachtschrank. Er zog das Bild heraus, steckte es ein und ging ins Wohnzimmer.
Gavin wartete dort und beobachtete, wie er die Treppe herunterkam.
»Ich habe ein paar Telefonate geführt.«
»Und?«
»Du weißt, dass ich das nur mache, weil Carwyn der ist, den ich am ehesten als Freund bezeichnen könnte. Und weil Lorenzo ein Dreckskerl ist. Ich werde mich in keinem Krieg auf eine Seite schlagen. Darauf lasse ich mich nicht ein.«
»Darum bitte ich dich auch nicht.«
»Beatrice wird nichts passieren. Es brächte Lorenzo nichts, ihr wehzutun. Und du weißt, wie wenig er sich aus Menschenfrauen macht.«
»Sehr beruhigend«, knurrte Giovanni und blieb auf der Treppe stehen. »Woher willst du das wissen?«
Gavin musterte ihn achselzuckend. »Sie wirkte sehr unterhaltsam. Und klug. Carwyn meinte, du seiest in ihrer Gegenwart weit erträglicher als sonst.«
»Wallace, ich würde dich sofort töten, wenn ich dadurch schneller an das käme, was du weißt. Also – was hast du herausgefunden?«
»Was ich dir jetzt sage, weißt du nicht von mir und so weiter, aber sein Flieger ist vor einer halben Stunde von einem Privatflugplatz nördlich von Katy gestartet, und zwar nach New York. Sie müssen direkt dorthin geflogen sein. Mehr wusste mein Kontakt nicht.«
»Ob er in New York bleibt?«
Der Schotte schnaubte. »Wahrscheinlich nicht. Du weißt ja, was die O’Brians von dem kleinen Dreckskerl halten.«
Giovanni runzelte die Stirn und erinnerte sich des griesgrämigen Clans von Erdvampiren, der um die vorletzte Jahrhundertwende das Gebiet von New York übernommen hatte. Sie waren bekanntermaßen feindselig und misstrauisch eingestellt, und Lorenzo hatte es sich mit ihnen verscherzt, weil er, als sie sich der Stadt bemächtigten, mit ihren Gegnern verbündet war.
»Nein, das ist nur ein Zwischenstopp auf dem Weg nach Europa. Seine Verbündeten leben zum Großteil dort«, brummte Giovanni und versuchte zu akzeptieren, dass das friedliche Leben, das er dreihundert Jahre kultiviert hatte, ringsum zerfiel und er sich wieder stürmischen Zeiten gegenübersah, wie er sie aus früheren Jahrhunderten kannte.
Als er Gavin schon hinauswerfen und in die Bibliothek hochgehen wollte, hörte er etwas gegen die Terrassentür schlagen. Stirnrunzelnd schaltete er das Licht im Wohnzimmer aus und
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