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Das verborgene Feuer

Das verborgene Feuer

Titel: Das verborgene Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Hunter
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spähte in die Nacht. Ein Ast der Magnolie schien sich zu bewegen, doch die übrigen Bäume standen reglos da.
    Wieder schlug es an die Scheibe, doch diesmal sah er einen Stein zu Boden fallen. Er schlich in den Seitenhof, griff mit allen Sinnen aus, um zu ergründen, wer oder was sich auf dem Grundstück befand, und beruhigte sich sofort, als er das vertraute Kardamom roch, das sie stets umgab. Er ging hinter das Haus und musterte die Bäume.
    Es zwitscherte aus der Magnolie, und als er aufschaute, saß eine kleine Vampirin mit baumelnden Beinen und nackten Füßen auf einem niedrigen Ast. Sie schien kaum sechzehn, siebzehn Jahre alt zu sein, und ihr schwarzes, glänzendes, in der Mitte gescheiteltes Haar fiel ihr glatt vom Kopf. Ihre wolkengrauen, ein wenig schräg gestellten Augen wirkten wie von altmeisterlicher Hand gemalt, doch als das Mädchen lächelte, zeigten sich hinter ihren Lippen bösartig aussehende gebogene Fänge, die an die Krallen eines urzeitlichen Raubvogels gemahnten.
    Eine seltsame Ruhe überkam ihn.
    »Hallo, Tenzin.«
    »Hallo, mein Junge«, gab sie auf Hochchinesisch zurück. »Ich dachte, du könntest mich brauchen.«
    »Ich habe sie verloren.«
    Das Mädchen schüttelte den Kopf. »Sie wurde dir geraubt. Aber du bekommst sie zurück.«
    Seine Züge zeugten von tiefem Kummer, und sie ließ sich vom Baum herunter, setzte sich auf seinen Rücken und legte den Kopf auf seine Schulter, um sein Gesicht von der Seite her zu betrachten.
    »Ich habe es gesehen. Sie ist dein Halt in diesem Leben – in jedem Leben.«
    Er flüsterte auf Englisch: »Du weißt, dass ich daran nicht glaube.«
    »Du glaubst zu sehr an die Naturwissenschaften, mein Junge. Deren Erkenntnisse wandeln sich, doch die Wahrheit bleibt stets gleich.«
    Er zögerte. »Weißt du, wo sie ist?«
    »Wasser. Viel Wasser. Er reist dahin, wo er stark ist.«
    Mit ihr auf dem Rücken kehrte Giovanni ins Haus zurück. »Ist das eine Vision, oder sprichst du aus fünftausend Jahren Erfahrung, wie man seine Feinde tötet?«
    Sie zuckte die Achseln. »Entscheide du, woran du heute glauben magst.«
    Allen Widrigkeiten zum Trotz huschte ein Lächeln über sein Gesicht. »Ich bin froh, dass du da bist, Vogelmädchen.«
    Sie lachte, ein klingelndes Geräusch, bei dem er seit je an ein Windspiel denken musste. »Ich bin diesmal Schicksalsbotin – das ist alles. Ich habe sie vor sehr langer Zeit gesehen.«
    Er blieb an der Verandatür stehen, schüttelte sie ab und fuhr herum.
    »Wie meinst du das?«
    Ein schelmisches Lächeln trat in ihr Gesicht. »Du tust gut daran, dich in Geduld zu üben. Wo ist das Essen? Ich bin hungrig. Es ist sehr warm hier.«
    Giovanni seufzte in dem Wissen, keine Informationen mehr von ihr zu bekommen. »Wir müssen uns erst um Beatrices Leibwächter kümmern. Lorenzo hat sie getötet. Danach gehen wir jagen.«
    Sie neigte den Kopf zur Seite und wechselte ins Englische. »Tut es dir um die Menschen leid?«
    »Ja.«
    »Sind sie bei dem Versuch gestorben, deine Frau zu beschützen?«
    »Ja.«
    Tenzin zuckte die Achseln. »Sie waren Krieger. Das ist ein guter Tod.«
    »Es wäre besser gewesen, sie wären nicht gestorben.«
    Von der Terrasse traten sie ins Wohnzimmer. Gavin telefonierte wieder und bekam große Augen, als die kleine Frau an ihm vorbeihüpfte. Giovanni und Tenzin durchquerten die dunkle Küche und traten in den Hof mit dem plätschernden Brunnen.
    Tenzin studierte Giovannis Miene, während er die Leichen der beiden Menschen untersuchte, die er zu Beatrices Schutz angestellt hatte.
    »Es war ihnen bestimmt«, sagte sie sanft.
    »Ten–«
    Er verstummte, als sie – die grauen Augen bekümmert zusammengekniffen – Ruhe gebietend die Hand hob.
    »Lass uns nicht streiten, solange die Krähen sich noch über sie hermachen können, mein Junge.«
    Er bückte sich seufzend, um die Toten zu inspizieren, und bemerkte bestürzt die tiefen Schnitte und Bisse, die sich den Behörden nicht würden erklären lassen.
    »Wir bringen sie in das Land, in dem Carwyn jagt. Ich rufe seinen Freund an, damit er uns erwartet.«
    Tenzin nickte. »Das ist gut. Dann können wir auch jagen. Das haben wir nötig.«
    »Wahrscheinlich reist er nach Europa.«
    Sie hielt inne, und in ihren Augen schien ein Sturm zu wirbeln. »Dein Sohn ist in Griechenland, nehme ich an.«
    »In Griechenland? Und warum dort?«
    Nach kurzem Nachdenken zuckte Tenzin nur die Achseln, hob einen der großen Männer an und schleifte ihn Richtung Garage. »Das klingt

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