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Das verborgene Feuer

Das verborgene Feuer

Titel: Das verborgene Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Hunter
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Nacht konnte er ihre immer schlimmer werdenden Albträume nicht mehr ertragen.
    »Dad … nein«, wimmerte sie. »Gio, nicht … lass sie nicht –« Sie verstummte, und ihr Schluchzen drang durch die dicke Holztür.
    Er verschaffte sich Einlass, indem er ihr Schloss mit einem raschen Stoß knackte, trat ans Bett, kniete neben ihr nieder und strich ihr sorgenvoll durchs Haar.
    »Beatrice«, sagte er mit zusammengebissenen Zähnen, »wach bitte auf. Bitte –«
    Ihre Lider öffneten sich flatternd. Er nahm ihr Gesicht in die Hände und strich ihr mit den Daumen die Tränen von den Wangen, während sie ihn mit rot geweinten Augen ansah.
    »Was soll ich machen?«, flüsterte er verzweifelt. »Ich kann nicht … was soll ich tun? Ich mache alles –«
    »Sorg dafür, dass sie mich nicht entführen«, erwiderte sie mit hohler Stimme.
    Mit heiserem Ächzen zog Giovanni sie an sich und drückte sie an seine Brust. Sie wehrte sich kurz dagegen, stieß dann aber einen tiefen Seufzer aus und ließ den Kopf an seiner Schulter ruhen. Er setzte sich auf das Bett, strich ihr durchs Haar und wiegte sie sanft in seinen Armen.
    Er hielt sie an sich gedrückt im Licht des abnehmenden Mondes und zündete schließlich die Nachttischkerze an. Nur mit einer Pyjamahose bekleidet, spürte er ihre heißen Tränen auf der Brust.
    »Möchtest du vergessen?«, fragte er. »Ich kann dich vergessen lassen. Vielleicht sogar alles. Wäre das besser?« Er ignorierte den Schmerz in seiner Brust und wartete auf ihre Antwort.
    »Wirst du dich denn daran erinnern?«
    Er drehte sanft ihren Kopf zu sich hin, prägte sich die Silberspuren auf ihren Wangen, ihre geschwollenen Augen und die Geräusche ihrer Albträume ein und holte tief Luft, um den schwer lastenden Geruch ihrer Panik einzusaugen.
    »Ja, ich werde mich an alles erinnern.«
    Sie nickte, und endlich kehrte der ihm so vertraute stählerne Zug in ihren Blick zurück.
    »Wenn du dich erinnern kannst, kann ich es auch.«
    Er küsste sie sanft auf die Stirn, dann auf die Wangen und schließlich auf den Mund, als besiegele er ein Versprechen. Da sie keine Anstalten machte, sich aus seiner Umarmung zu befreien, bettete er ihr Haupt an seine Schulter und lehnte sich an das Kopfende des Bettes.
    »Giovanni?«
    »Ja?«
    »Erzähl mir deine Geschichte.«
    Er schloss die Augen, schlang die Arme um sie, seufzte tief und begann mit leiser Stimme.
    »Ich heiße Jacopo und war sieben Jahre alt, als mein Onkel Giovanni mich entdeckte …«

24
    Cochamó Tal, Chile
    August 2004
    Stundenlang lauschte sie in seinen Armen der Geschichte eines kleinen, von den Freunden eines geliebten Onkels den Klauen der Armut entrissenen Kindes. Nach entbehrungsreichen frühen Jahren war er ein von den Segnungen der Kunst, Philosophie und Religion verwöhnter Junge, der in der Blütezeit von Renaissance und Humanismus heranwuchs.
    Nachdem Graf Giovanni Pico della Mirandola den unehelichen Sohn seines älteren Bruders adoptiert hatte, behandelte er Jacopo wie einen geschätzten jüngeren Bruder. Seine drei Freunde – der Gelehrte Angelo Poliziano, der Dichter Girolamo Benivieni und der Mönch Girolamo Savonarola – taten es ihm gleich.
    Die vier umgaben das Kind mit Wissen und Zuneigung und trugen ihren Teil zu seiner Erziehung bei – und keiner von ihnen war sich der Gefahr bewusst, die in Gestalt des schönen Signore Niccolo Andros, eines Wasservampirs von unaussprechlich alter Macht, auf Jacopo lauerte.
    »Wann bist du denn dem Mann begegnet, der dich in einen Vampir verwandelt hat?«, fragte Beatrice, als er sie in sein Schlafzimmer trug, um sich der Morgendämmerung zu entziehen. Er legte sie auf sein großes Bett, und weil er ohne Decken schlief, ging er noch einmal in ihr Zimmer zurück, um welche zu holen.
    »Andros?«, rief er. »Mein Onkel hatte ihn 1484 an Lorenzos Hof kennengelernt. Auf der gleichen Reise nach Florenz, auf der er mir begegnete.«
    Giovanni kam zurück in sein Zimmer, das an drei Wänden verputzt und mit Holz verkleidet war. Die vierte Wand aber, vor der sein Bett stand, war aus Granit, und das Kerzenlicht ließ die schwarzen Flecken in dem Stein tanzen.
    »Andros habe ich kennengelernt, als mein Onkel ihn in Perugia besuchte. In seiner Villa hatte er eine gewaltige Bibliothek zusammengetragen und überließ meinem Onkel zu Studienzwecken viele seltene Bücher und Manuskripte, doch später erfuhr ich, dass er immer vorgehabt hatte, sie wieder an sich zu bringen. Andros’ Sammlung ist der

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