Das verborgene Feuer
Korrespondenz weggesperrt, und ich habe nie herausgefunden, wo sie sich befindet.«
»Aber warum war Andros das wichtig? Sie konnten doch ohnehin nicht heiraten, warum –«
»Gegen Ende seines Lebens wurde mein Onkel depressiv. Nach der Verhaftung in Paris verlor er allen Lebensmut und hörte auf, Giuliana zu schreiben. Er empfand nicht mehr die Freude, die er immer in sich getragen hatte, und zerstörte seine Gedichte, verbrannte viele seiner fortschrittlichen Werke und korrespondierte mehr und mehr mit Savonarola, der mittlerweile so radikal war, dass dieser Briefwechsel sogar seine Freundschaft mit Poliziano und Benevieni belastete.«
»Wann wurden die Scheiterhaufen errichtet?«
»Das ›Fegefeuer der Eitelkeiten›?«, murmelte er, und sie musste an das Buch denken, das sie viele Monate zuvor bei ihrer ersten Begegnung gelesen hatte. Nun begriff sie, warum er den Titel so amüsant gefunden hatte, und musste lächeln.
»Ja, ebendiese.«
»Als Andros mich bereits entführt, aber noch nicht zu einem Vampir gemacht hatte. Mein Onkel hat mir alles vererbt; zwar war er nicht allzu reich, besaß aber eine bedeutende Bibliothek, und weil Andros sie haben wollte, hat er sie sich genommen. Als Lorenzo mir Jahre später erzählte, die komplette Sammlung sei auf dem Scheiterhaufen verbrannt, war das gut vorstellbar. Ein Großteil seiner Bücher hatte gewiss als ketzerisch gegolten, und vieles war verloren.«
»Worüber hat dein Onkel geschrieben?«
Giovanni lächelte wehmütig und gab ihr einen zarten Kuss auf die Stirn. »Er war der Ansicht, alle Religionen und Philosophien seien versöhnbar, die Suche nach Wissen sei das höchste Gut, und trotz aller Kriege und Streitereien gebe es eine universale Wahrheit, die er vielleicht entdecken würde und die die Menschheit zusammenbringen könnte.«
In seinen grünen Augen sah Beatrice die Erinnerungen nur so wirbeln. »Klingt nach einem wunderbaren Menschen.«
»Er war … Idealist.«
Sie gab ihm einen Kuss auf die Wange, die – seit sie ihn vor Wochen in der Nachteule geküsst hatte – zu einem Stoppelfeld geworden war.
»Die Welt braucht Idealisten.«
Seine Hand wanderte ihren Arm hoch zu ihrer Wange. Dann sah er ihr tief in die Augen und küsste sie sanft auf den Mund. Es war ein weicher, tastender Kuss, und sie fühlte, wie sein Arm sie an sich zog. Zugleich aber spürte sie seine flatternden Lider an der Wange und wusste, dass es ihm sehr schwerfiel, wach zu bleiben.
»Schlaf, Gio.«
»Bist du da, wenn ich aufwache?«, lallte er nahezu unverständlich, denn der Tag zehrte gewaltig an ihm. »Es gibt noch mehr …«
»Ja«, flüsterte sie. »Ich bin da.«
Obwohl sein Arm auf ihrer Taille lastete und sein Kopf zur Seite gesunken war, fühlte Beatrice sich erstmals seit Wochen in Sicherheit. Also tat sie es ihm nach, schloss die Augen und teilte diesmal seinen traumlosen Schlaf.
Als sie aufwachte, schlummerte er noch. Sie befreite sich aus seinen Armen, ging in den vorderen Teil des Hauses und kochte sich einen schwarzen Tee, um ihn auf der Veranda zu trinken. Als sie nach draußen trat, fand sie dort frische Milch und einen Block Eis für den Kühlschrank vor.
Sie staunte, wie schön ihr das einfache Leben im Tal vorkam. Das Haus hatte keinen Strom, doch sie vermisste ihn weit weniger als erwartet. Das Feuer im großen Kamin brannte ohne Unterlass und erhitzte Wasser in einem kleinen Boiler nach einer Methode, die sie noch nicht durchschaut hatte, aber sehr schätzte.
Von den Albträumen abgesehen, die sie Nacht für Nacht geplagt hatten, hatte Beatrice sich noch nie so im Einklang mit ihrer Umgebung gefühlt, und sie begriff, warum Giovanni gewollt hatte, dass sie an diesen ruhigen Ort kam. Ihre Seele und ihr Geist waren gleichermaßen erfrischt.
Sie hörte jemanden durch den Wald kommen und setzte sich besorgt auf, beruhigte sich aber, als sie sah, dass es der älteste Sohn der Familie Reverte war, der sich um das kleine Landhaus im Talgrund kümmerte. Arturo hatte sie auf einigen leichteren Reitwegen begleitet, als sie das Tal erkundete. Er ritt sein Lieblingspferd und führte für sie ein zweites Tier am Zaum.
»¡Chao, Beatriz!«
, rief er lächelnd.
»Buenos días, Arturo.«
»¿Quieres cabalgar?«
»No, grácias«
, sagte sie, denn sie wollte jetzt nicht mit ihm reiten.
»¿No? Estás segura?«
, gab er augenzwinkernd zurück.
Sie überlegte, ob sie etwas frische Luft brauchen konnte, wusste aber nicht recht, wann Giovanni erwachen würde.
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