Das verborgene Feuer
all diese Leute zu töten«, erklärte Giovanni quer durch die Bibliothek.
Carwyn schnaubte. »Nicht zu vergessen die moralischen Bauchschmerzen, die es bereiten würde, Unsterbliche zu töten, die womöglich keine größere Untat begangen haben, als von jemandem in einen Vampir verwandelt worden zu sein, der sich vor hundert Jahren mit Lorenzo verbündet hat, Tenzin. Ich weiß, du hast eigenwillige Ansichten über das Schicksal und –«
»Ich spreche nicht vom Schicksal, sondern darüber, unsere Interessen zu schützen und –«
Beatrice verdrehte die Augen, als sie die drei alten Freunde streiten hörte. Alle hatten eigene Vorstellungen darüber, was zu tun sei. Carwyn schlug vor, sie möge sich an einen sicheren Ort zurückziehen, bis die Gefahr vorbei sei, und bot dafür sogar sein abgelegenes Haus in Wales an. Giovanni meinte, die von ihm ergriffenen politischen Maßnahmen würden Beatrice schützen, bis er Lorenzo in die Ecke treiben und töten könnte. Und Tenzin schien ernstlich vorschlagen zu wollen, alle umzubringen, die je ein Bündnis mit Giovannis Sohn eingegangen waren – nur um ganz sicherzugehen.
Sie hörte den dreien ungeduldig zu und erinnerte sich daran, was Giovanni ihr vor Monaten über die Welt der Unsterblichen erzählt hatte.
»Die Stärksten, Klügsten und Reichsten haben die größte Macht. Und Macht ist das einzige Gesetz.«
Vampire besaßen weder Gesetze noch Regierung. Nach Beatrices Eindruck waren es Körperkraft, Reichtum und ein verworrenes Netz dauerhafter Bündnisse, die ihre Welt strukturierten. Sie fragte sich, ob all das auch für Lorenzo galt.
Giovanni schien zu denken, er habe die Bündnisse seines Sohns außer Kraft gesetzt. Mit Tenzin hatte er ihn seiner Stärke beraubt, indem die beiden ihn in eine geröstete Kreatur verwandelt hatten, die Jahre brauchen würde, um sich von ihren Brandwunden zu erholen. Lorenzos Gehirn anzugreifen, würde Beatrice nicht gelingen.
Aber sein Geld konnte sie attackieren!
Mit einem Lächeln trat Beatrice an ihren Schreibtisch und wandte sich dem Bereich zu, in dem sie jedem Vampir der Welt überlegen war. Mag sein, sie hätte sich angesichts der übernatürlichen Kräfte dieser Wesen nicht zu verteidigen gewusst, und ganz sicher hatte sie auch nicht genug Geld …
Noch nicht jedenfalls.
Sie schloss die Augen, tauchte in die Erinnerungen an ihre Gefangenschaft ein und ging die Liste der Konten durch, die sie sich in den vielen Stunden in Lorenzos Bibliothek eingeprägt hatte. Dessen bemitleidenswerter Assistent war nachlässig gewesen und hatte nicht bemerkt, wie sorgfältig sie sich alle Zugangscodes, Passwörter und Sicherheitsfragen eingeprägt hatte, während sie in ihrer Ecke gesessen und getan hatte, als würde sie lesen.
»Gio?«, rief sie leise und schaltete den Computer ein.
Er warf ihr einen Blick zu, während er mit Carwyn darüber stritt, welche Vorzüge es hatte, sich mit dem Anführer eines Clans der Wasservampire zu treffen, die London beherrschten.
»Ja?«
»Diese PC s sind doch alle gesichert? Jede Menge Firewalls?«
»Natürlich«, erwiderte er und war schon wieder bei Tenzin und dem, was sie über einen Rat von acht Unsterblichen sagte, die anscheinend den Großteil von China beherrschten.
»Gut«, murmelte sie und ging online, um sich Zugang zu Lorenzos in aller Welt verstreuten Konten zu verschaffen.
Der Streit tobte noch Stunden, während sie systematisch Lorenzos Möglichkeiten zerstörte, auf das Geld zuzugreifen, das sie seinen Untergebenen weltweit hatte verschieben sehen. Beatrice nahm sich ein Konto nach dem anderen vor, das der arme, benebelte Tom für seinen Meister eingerichtet hatte. Sie verschob das Geld und leitete es um, legte einiges unter ihrem Namen an und überwies andere Summen auf Überseekonten, zu denen sie Zugang hatte. Bei manchen Banken brauchte sie nur ein Passwort zu ändern, um Gelder auf elektronischem Wege auf andere, neu eröffnete Konten desselben Instituts zu transferieren. Dies alles war absolut illegal.
Und genau das scherte sie nicht im Geringsten.
Während ihre Finger über die Tasten flogen, dachte sie über die Hinweise nach, die Lorenzo ihr gegeben hatte, weil er wie selbstverständlich angenommen hatte, sie würde seiner Gewalt nie entkommen.
Ihr Vater war ihm entwischt …
»… aber nicht ohne ein paar Bücher, von denen er wusste, wie sehr ich sie schätze.«
Und Lorenzo brauchte diese Bücher für etwas Bestimmtes.
»Bald halte ich alle zum Narren. Alle
Weitere Kostenlose Bücher