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Das verborgene Lied: Roman (German Edition)

Das verborgene Lied: Roman (German Edition)

Titel: Das verborgene Lied: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Webb
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blauen Wagen spürte sie auch keinen Lufthauch mehr an dem offenen Mund. Hinter den schwarzen Scheibenaugen war kein Leben mehr. Dimity grauste es vor Élodie, als sie ins Auto stieg, aber sie war unter der Last des kindlichen Körpers gefangen, ohne jede Möglichkeit zu entkommen.
    Zach bestaunte Hannahs chaotischen Küchentisch, oder viel mehr die Gestalten, die daran saßen. Ilir stand der Tür zu gewandt wie einer Bedrohung. Sein Gesicht war immer noch vor Furcht und Wut verzerrt, und er hielt die Hand einer gro ßen, dünnen Frau, die saß und den anderen Arm fest um einen kleinen Jungen von etwa sieben oder acht Jahren geschlungen hatte. Zach starrte die beiden an, und sie starrten zurück. Ihre Gesichter waren bleich vor Erschöpfung. Die Frau hatte dunkelbraunes Haar, lang und glatt, in der Mitte gescheitelt und zu einem schlichten Pferdeschwanz zurückgebunden. Ihre Stirn hatte tiefe Sorgenfalten.
    »Zach, ich möchte dir Rozafa Sabri vorstellen, Ilirs Frau, und ihren Sohn Bekim«, sagte Hannah. Sie war neben ihm stehen geblieben, und ihr ganzer Körper war angespannt vor innerem Aufruhr.
    »Hallo«, sagte Zach tonlos. Ilir sagte ein paar ungeduldige Worte in einer Sprache, die Zach nicht verstand, und Rozafa blickte besorgt zu ihm auf.
    »Auf Englisch, Ilir?«, bat Hannah.
    »Sie können nicht hierbleiben. Nicht eine einzige Nacht.«
    »Ich weiß. Es tut mir leid, Rozafa … Es ist ein kleines Problem aufgetaucht«, sagte Hannah. Zach sah aller Augen auf sich gerichtet, als sei er schuld daran. Er schwitzte un ter seinem Pullover und der Jacke, und das unbehagliche Jucken machte ihn zappelig. »Zach bringt euch an einen sicheren Ort. Möglicherweise wird die Polizei bald hier sein …«
    »Policija?« , stieß Rozafa hervor, und ihre Augen weiteten sich. Das Kind an ihrer Seite reagierte nicht. Es betrachtete Zach mit verschwommenem Blick, als schliefe es halb. Seine Mutter stand auf und zog den kleinen Jungen, der sich langsam und schwerfällig bewegte, mit sich. Dann beugte sie sich vor, hob ihn auf die Arme und schaute dann zwischen Hannah und ihrem Mann hin und her. Bereit zur Flucht, erkannte Zach. So erschöpft sie auch sein mochte, sie war bereit, ihr Kind an sich zu drücken und weiterzulaufen. Und erschöpft waren die beiden ganz offensichtlich, sie brauchten dringend Ruhe. Ihm wurde heiß vor schuldbewusster Scham, als er sich vorhielt, dass er schon davon überzeugt gewesen war, dass Hannah Kunst oder Drogen schmuggelte, obwohl es in Wahrheit um ein viel kostbareres und zerbrech licheres Gut gegangen war.
    »Verstehst du jetzt, warum ich es dir nicht sagen konnte? Warum das unbedingt geheim bleiben musste?«, fragte Hannah ihn drängend.
    »Du hättest mir vertrauen können. Ich hätte das verstanden.«
    »Das konnte ich aber nicht wissen. Nicht mit Sicherheit. Aber jetzt vertraue ich dir. Bring sie irgendwo anders hin. Jetzt gleich, ehe die Polizei hier auftaucht. Okay?«
    »Wo … Wie soll ich das machen? Mit deinem Jeep?«
    »Nein – auf der Zufahrt würden sie dich sehen, und ohne Licht kannst du nicht querfeldein fahren – du würdest euch alle umbringen. Geht zu Fuß – irgendwohin, wo sie sicher sind.«
    »The Watch. Ich bringe sie zu Dimity«, sagte er. Hannah zögerte mit gerunzelter Stirn, dann nickte sie.
    »Gut. Haltet euch außer Sicht. Wir können nur hoffen, dass sie nicht darauf kommen, dort nachzuschauen.«
    »Warum sollten sie?«
    »Weil … Ach, nicht so wichtig. Das wird schon gut gehen. Los jetzt – beeilt euch!«
    Zach schaute die Zufahrtsstraße entlang, die in völliger Dunkelheit lag. Dann rannte er mit Ilir und Rozafa über den Hof. Das geschieht doch nicht wirklich, dachte er in einem stillen Winkel seines Verstandes, der sich ansonsten tunlichst heraushielt und abwartete, was passieren würde. Am Tor zu den Weiden, die zu Dimitys Häuschen hin anstiegen, blieb Ilir stehen. Er redete hastig auf seine Frau ein, in einer Sprache, die Serbisch, Albanisch oder Romani hätte sein können, soviel Zach davon verstand. Rozafa antwortete mit erschrocken hoher Stimme, als Ilir sich abwandte. Sie streckte die Hand aus und hielt ihn am Ärmel zurück.
    »Kommt er denn nicht mit? Kommst du nicht mit uns, Ilir?«, fragte Zach.
    »Hannah braucht mich vielleicht, falls sie kommen. Ich bleibe bei ihr.«
    »Aber wenn sie deinen Pass sehen wollen …«
    »Wenn ich weggehe, werden sie sich fragen, wo ich bin. Vielleicht suchen sie mich dann«, erklärte Ilir entschieden. »Geht weiter

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