Das verborgene Lied: Roman (German Edition)
– bring sie in Sicherheit. Bitte.« Er starrte Zach an, und das Grauen davor, dass die beiden entdeckt werden könnten, stand ihm ins Gesicht geschrieben. Zach nickte.
»Lass dein Handy an!«, rief Hannah ihm noch zu, als sie zu dritt weiterliefen.
So schnell sie konnten rannten sie den dunklen Abhang hinauf, der auf dieser Seite der Senke steiler war. Immer wieder stolperten sie über dichte Grasbüschel, und es war beinahe einfacher, die Hände zu Hilfe zu nehmen und auf allen vieren hinaufzukrabbeln. Nach etwa zweihundert Me tern erreichten sie einen Zaun und hielten inne. Zach blickte über die Schulter zurück. Dort unten fuhren die drei Streifenwagen gerade auf den Hof, und das Blaulicht blitzte unvorstellbar hell in der Dunkelheit.
»Runter! Ducken Sie sich«, sagte er. Rozafa starrte ihn verständnislos an, und ihm wurde klar, dass sie nicht so gut Englisch konnte wie ihr Mann. Er ließ sich auf den kalten, nassen Boden sinken und zog sie mit sich, und sie kauerte sich schützend über den kleinen Jungen. Er konnte hören, wie sie ihm sanft etwas ins Ohr flüsterte, einen Strom zärtlicher Worte, vielleicht ein Lied oder ein Kinderreim. Zach roch die Angst, die an der ungewaschenen Haut der beiden klebte, und er musste schlucken, als ihm seine ungeheure Verantwortung bewusst wurde. Rozafa blieb nichts anderes übrig, als ihm zu vertrauen und nicht nur ihr eigenes Schicksal, sondern auch das ihres Kindes in seine Hände zu legen. Er drehte sich um und schaute den Hügel hinauf, sah aber nichts als Dunkelheit. Kleine Büschel Schafwolle hingen wie Wimpel an dem Stacheldrahtzaun vor ihm und tanzten leicht im Wind. Sie hatten einen kräftigen, schmierigen Geruch. Unten stiegen sechs Polizisten aus den Autos, einer mit einem nervös tänzelnden Schäferhund an der Leine, und liefen auf das Haus zu. Drei scherten aus und rannten um das Haus herum nach hinten, um eine Flucht durch die Hintertür zu verhindern. Dort drin war nichts mehr, was Hannah verbergen müsste, doch Zach fühlte sich plötzlich gar nicht wohl bei der Vorstellung, wie sie von allen Seiten eingekreist wurde.
»Herrgott, ich hoffe, dieser Hund sucht nur nach Drogen, nicht nach Menschen«, brummte er. Rozafa hob den Kopf, als er sprach, und ihre Augen leuchteten hellwach vor Adrenalin. »Kommen Sie«, sagte er.
Sie eilten weiter den Hügel hinauf. Nach ein paar Schritten drehte Zach sich um, nahm der Frau den kleinen Jun gen ab und schwang ihn sich auf den Rücken, um ihn hucke pack weiterzutragen. Das Kind wog praktisch nichts. Ein Stück Treibholz, frisch vom Meer angespült. Zach wurde plötzlich bewusst, wie gefährlich es sein musste, den Ärmelkanal bei Nacht in einem kleinen Fischerboot zu überqueren. Wie lang, unbequem und finster diese Reise gewesen sein musste. Um hier zu landen als menschliches Strandgut, erschöpft, am Ende aller Kräfte, am Rande einer Katastrophe. Er konnte sich nicht vorstellen, zu riskieren, was sie riskiert hatten, und wie verängstigt sie sein mussten. Er packte den kleinen Bekim ein wenig fester.
Nach zehn Minuten, die ihm wie eine Ewigkeit erschienen, sah Zach den weißen Umriss von The Watch schwach in der Dunkelheit schimmern. Keuchend führte er Rozafa zur Haustür und gab ihr den Jungen zurück, ehe er klopfte. Dann blickte er sich wieder um und schaute den Hügel hinab, weil er die Ungewissheit darüber kaum aushielt, was auf der Southern Farm geschah. Doch es war nichts zu sehen. Die Streifenwagen standen immer noch auf dem Hof, eines mit blinkendem Blaulicht. Zach klopfte erneut und musste daran denken, wie verwirrt und ängstlich Dimity gewirkt hatte, als er am Nachmittag hier gewesen war.
»Dimity, ich bin es nur, Zach. Ich bin wieder da. Bit te, dürfen wir hereinkommen? Es ist wirklich wichtig … Dimity?«
»Zach?« Ihre Stimme drang schwach und krächzend durch die Tür.
»Ja, ich bin es. Bitte lassen Sie uns herein, Dimity. Wir brauchen ein Versteck.« Die Tür öffnete sich einen Spaltbreit, und die Dunkelheit drinnen war noch tiefer als die Nacht draußen. Das Blaulicht flackerte auf der bleichen Haut der alten Frau und in ihren großen Augen.
»Polizei?«, fragte sie verwirrt.
»Die suchen nach diesen beiden. Das sind Ilirs Frau und sein Sohn. Sie kennen doch Ilir – der Mann, der Hannah auf dem Hof hilft? Dürfen wir hereinkommen?« Zach drehte sich nach Bekim in Rozafas Armen um und sah, dass das Kind tief und fest schlief. Sein kleines Gesicht wirkte verhärmt, der Mund war
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