Das verborgene Lied: Roman (German Edition)
Teils tat sie das zweifellos, weil sie seine Hilfe brauchte, aber zum Teil auch, um sich für die Zukunft sein Schweigen zu sichern. Er nickte nervös.
»Okay. Aber ehrlich, wenn es um Drogen geht …« Er schüttelte den Kopf. Ein Ausdruck von Abscheu verzerrte Hannahs Gesicht.
» Drogen? Du glaubst ernsthaft, es ginge um Drogen?«
»Ich habe einfach keine Ahnung.«
»Du glaubst, ich würde alles aufs Spiel setzen, um mit Drogen zu handeln? Herrgott noch mal, Zach! Willst du wissen, wofür ich alles riskieren würde? Willst du das wissen? Dann komm und sieh es dir an.« Sie packte ihn am Ärmel, zerrte ihn ins Haus, die Stufen hinauf und in die Küche. Dort ließ sie ihm einen Augenblick Zeit, um sich ein Bild zu machen. Die plötzliche Helligkeit tat seinen Augen weh. »Kapierst du es jetzt?«, fragte sie. Zach starrte entgeistert auf die Szene, die sich ihm bot.
»Himmel«, murmelte er.
Dimity schlief so tief wie noch nie zuvor, sie verschlief den ganzen restlichen Tag, nachdem Celeste sie wieder weggeschickt hatte. Ein traumloser Schlaf, wie bewusstlos. Kurz vor Sonnenuntergang erwachte sie mit einem vagen Unbehagen. Sie konnte nicht still sitzen oder länger bei irgendeiner Hausarbeit bleiben. Also erlosch der Ofen, bald nachdem sie ihn angeheizt hatte, das Wasser im Kessel blieb kalt, und die Hühner blieben noch ein Weilchen auf ihren Eiern sitzen und wärmten sie in ihrem fettigen Gefieder. Dimity spähte verstohlen ins Schlafzimmer ihrer Mutter. Valentina lag mit weit gespreizten Gliedern auf dem Bett. Ihr gelbliches Haar war verfilzt und strähnig, das Gesicht ins Kissen gedrückt. Sie schlief tief und fest und schnarchte dabei leise. Dimity überlegte und erinnerte sich daran, dass sie irgendwann die Haustür hatte zuschlagen hören. Ein Besucher, der unerkannt davongehuscht war. Ein leicht fischiger Geruch hing noch in dem stickigen Zimmer. Dimity schloss leise die Tür und wunderte sich über den plötzlichen Drang, zu ihrer Mutter ins Bett zu kriechen und die Wärme ihres muffigen, schlafenden Körpers zu spüren. Doch sie hatte schon vor langer Zeit gelernt, dass sie Geborgenheit und Schutz, nach denen sie sich so sehr sehnte, nicht bei Valentina zu suchen brauchte.
Und dann wurden ein, zwei Minuten lang alle ihre Träume wahr. Die Sonne war schon hinter dem Horizont versunken, und das Meer schien im samtigen Zwielicht zu glü hen. Dimity schaute aus ihrem Schlafzimmerfenster, und da kam der blaue Wagen den Weg zu The Watch herabgefahren und wirbelte Staub und kleine Steinchen auf. Direkt vor dem Haus kam er schlitternd zum Stehen, und Charles stieg aus. Charles ganz allein, und er fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar, wie um ordentlich auszusehen. Er kam an die Tür und hämmerte dagegen, drängend und bedenkenlos. Er war gekommen, um sie mitzunehmen, dachte sie, während sie mit verträumtem Lächeln die Treppe hinunterstieg. Seit sie aufgewacht war, hatte sie Angst verspürt, aber nicht ergründen können, warum. Sie wusste nur, dass sie nie wieder nach Littlecombe gehen wollte. Aber jetzt war er endlich gekommen, um sie zu holen, und die Angst zerfloss. Dimity blickte sich auf dem Weg zur Tür im Haus um, weil sie dachte, dass sie es vielleicht nie wiedersehen würde. Dass sie gerade zum letzten Mal diese Stufen hinunterstieg, über diese abgewetzten Steinfliesen ging und am Knauf der schweren Eichentür zog. Ihr Lächeln wurde brei ter, als sie ihn sah, und sie ließ ihre Liebe aus ihrem Gesicht strahlen – sie brauchte sie nicht mehr zu verbergen, nicht länger zu warten.
»Mitzy – du musst mitkommen. Jetzt gleich! Bitte«, sagte er. Sie bemerkte nicht, dass ihm der Schweiß auf der Stirn stand und feucht auf seiner Oberlippe schimmerte, dass sein Gesicht aschfahl war und seine Hände zitterten, als er sich wieder durchs Haar fuhr.
»Natürlich, Charles. Ich habe schon auf dich gewar tet. Aber ich habe meine Tasche noch nicht gepackt – ist noch genug Zeit dafür? Nur ein paar Sachen, etwas Kleidung?«
»Was? Nein – keine Zeit! Bitte komm sofort!« Er packte sie am Handgelenk und zerrte sie zum Wagen. »Moment – ist Valentina zu Hause? Ruf sie, sie muss mitkommen – und hol eure Medizin, alles, was ihr habt. Nimm alles mit!«
»Valentina … Aber warum willst du sie dabeihaben? Wir brauchen uns nicht um …«
»Ist sie da?«
»Sie schläft.«
»Na, dann weck sie, verdammt noch mal! Sofort!« Plötzlich brüllte er so laut und heftig, dass sie unwillkürlich zu rückwich
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