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Das verborgene Netz

Das verborgene Netz

Titel: Das verborgene Netz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Bottini
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sieht frisch aus. Viel Glück. – Ein Fan.
    Sie sah sich die Fotosignaturen an – aufgenommen vor einer halben Stunde. Nachdem sie rasch eine Antwort getippt hatte
– 1000 Dank!
–, vergrößerte sie die Nahaufnahme der Wand.
    Die Eindruckspuren waren trotz Verpixelung relativ deutlich zu erkennen. Ein harter Gegenstand von der Form eines Hammerkopfes, waagerechte Riffelung in der Mitte, die Seitenkanten glatt. Direkt an der unteren Kante war die Riffelung breiter, dann setzte sie sich mittig mit halber Breite fort. Bei beiden Eindruckspuren war der jeweils untere Teil deutlicher zu erkennen als der obere – der Gegenstand war schräg auf dem Holz aufgetroffen.
    Sie ließ sich zurücksinken, starrte auf das leicht unscharfe Bild auf dem Monitor. Was mochte der Täter unmittelbar vor dem Angriff auf Steinhoff in der Hand gehalten haben?
    Sie öffnete eine Schreibtischschublade, zog die Heckler & Koch aus dem Holster. Keine Riffelung an der Griffstückunterseite, sondern eine tiefe Kerbe und in der Mitte eine kreisrunde Auslassung. Aber das bedeutete nichts, sie wusste, dass es Pistolen mit Riffelung gab. Nur welche Modelle? Eine Frage, die der Waffen- und Gerätewart des Hauses oder die Kriminaltechnische Untersuchungsstelle der Landespolizeidirektion beantworten konnte.
    Sie formulierte sie, hängte Rohwes Nahaufnahme an, verschickte die Mails und verließ das Büro. Selbst wenn das Spiel für die Kripo zu Ende war, dachte sie, konnten ein paar Informationen nicht schaden.
     
    Der Tee war zubereitet, der Duft ostfriesischer Gemütlichkeit empfing sie. Reinhard Graeve, Ende vierzig, gebürtiger Hamburger, jahrelang Leiter der Kripo Leer, zog das Jackett wieder über, das er selbst im Sommer nur dann abzulegen pflegte, wenn er Tee zubereitete. Anzug und Krawatte waren die einzigen Symbole von Autorität, derer er sich bediente. Sie hatte noch nie einen Mann erlebt, der sich so zurücknahm und doch eine so unangreifbare Macht ausstrahlte wie Graeve.
    »Sahne?«
    »Einen Schuss.«
    Er hob ein winziges Kännchen, goss ein wenig Sahne in ihre Tasse. »Kluntje?«
    »Was bitte?«
    Graeve deutete auf ein Schälchen mit weißem Kandis.
    Sie hob zwei Finger. »Sagen Sie das noch mal.«
    »Kluntje.«
    »Klingt sexy.«
    »Und ruiniert doch nur die Zähne.« Mit einer Zuckerzange ließ er zwei Stücke Kandis in die Tasse plumpsen. »Was hat es mit den Chrysanthemen auf sich?«
    Sie nahm die Tasse und trat ans Fenster. Altstadt, Münster, Schlossberg im Regen, weit sah man nicht. Doch im Grau des Himmels lag eine Andeutung von Helligkeit. »Wecken unangenehme Erinnerungen. Ein Fall vor Ihrer Zeit.«
    »Welcher?«
    »Merzhausen.«
    Graeve nickte, er schien sich informiert zu haben.
    »Da hat hier oben noch der hübsche Bob gewohnt«, sagte sie. »Jetzt vergammelt er in der Provinz. Der Nur-keine-Fehler-machen-Bob hat Fehler gemacht.«
    »Wir haben alle Angst, Fehler zu machen«, sagte Graeve.
    »Ich hab eher Angst, das Falsche zu tun.«
    »Besteht da ein Unterschied?«
    »Was ein Fehler ist, ist relativ. Was falsch oder richtig ist, ist nicht relativ.«
    »Die Chrysanthemen waren ein Fehler, aber nicht falsch?«
    »So ungefähr.«
    Graeve stellte sich neben sie. Schweigend tranken sie, blickten hinaus. Wie oft hatte sie mit Almenbroich hier gestanden, so wie jetzt mit Graeve. Vieles mochte sich ändern, manches wiederholte sich, und das war irgendwie beruhigend.
    »Rolf und seine Spielchen«, sagte sie.
    »Zeichen seiner Zuneigung.«
    »Zu Ihnen oder zu mir?«
    »Zu Ihnen. Er freut sich auf Sie, aber das kann er sich natürlich nicht eingestehen. Deswegen schickt er Sie nach Berlin, deswegen empfiehlt er mir Chrysanthemen.«
    Sie zuckte die Achseln. Sie hatte Erfahrung mit Bermanns Art, seine Zuneigung zu überspielen. Dass seine Freude über ihre Rückkehr bis in die vierte Etage zu spüren war, verhieß nichts Gutes.
    »Erzählen Sie von Berlin.«
    Sie hob die Tasse in Richtung Fenster. »Geben Sie mir noch ein paar Minuten.«
     
    Sie war davon ausgegangen, dass Graeve wie Bermann dachte – ein Fall, der keiner ist? Interessiert uns nicht, wir sind ja nicht mal zuständig. Überrascht stellte sie fest, dass sie sich getäuscht hatte. Graeve wollte, dass sie an Esther Graf dranblieb.
    Der Unbekannte aus Zimmer 35 machte ihm Sorgen. Falls der Mann und Graf tatsächlich in irgendeiner Verbindung zueinander standen, mussten sie in Erwägung ziehen, dass auch er in Freiburg auftauchen würde oder bereits hier war. Ein

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