Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das verborgene Netz

Das verborgene Netz

Titel: Das verborgene Netz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Bottini
Vom Netzwerk:
bewaffneter, brutaler Profi, der falsche Dokumente benutzte und der versuchten Tötung verdächtigt wurde, in Freiburg – und die Kripo hielt still? Auf keinen Fall. Also würden sie das Protokoll der Opfervernehmung aus Berlin anfordern und auf Basis der Täterbeschreibung eine interne Fahndung einleiten.
    »Soll ich noch mal mit Graf sprechen?«
    Graeve überlegte einen Moment. »Recherchieren Sie ihr Umfeld, aber halten Sie sich im Hintergrund. Holen Sie sich zwei Kollegen vom D 24 , und lassen Sie Graf … wie formuliere ich es: kurzfristig beobachten. Zu ihrem Schutz, Sie verstehen.«
    Louise nickte. Für eine umfassendere Observierung waren die notwendigen rechtlichen Voraussetzungen nicht gegeben. »Und der Verfassungsschutz?«
    »Ich werde ein paar Telefonate führen. Wenn das Amt tatsächlich ermittelt, brauchen wir genauere Informationen, wie wir uns zu verhalten haben und wo wir den Kollegen nicht in die Quere kommen dürfen. Vor allem aber muss gewährleistet sein, dass sie die Situation und den Verdächtigen unter Kontrolle haben.«
    »Sprechen Sie mit Rohwes Chef.«
    »Welche Dienststelle?«
    Sie zog Rohwes Visitenkarte aus der Hosentasche und las vor. »Direktion 2 – VB II 5 . Ich nehme an, er ist der Leiter des Kommissariats.« Sie reichte Graeve die Karte. »Er steht auf Queen.«
    »Was für ein Zufall.« Graeve lächelte.
    »Lassen Sie mich raten: Sie
lieben
Queen.«
    »Seit meiner frühen Kindheit.«
    »Das sollten Sie ihm nicht erzählen, die wurden erst 1970 gegründet.«
     
    Zurück in ihrem Büro, stellte sie die Chrysanthemenvase aufs Fensterbrett, um sie nicht dauernd im Augenwinkel zu haben. Ein paar Minuten lang säuberte sie Schreibtisch, Waschbecken und Regalfächer vom Staub, der sich in drei Monaten trotz Putzkolonne so ansammelte. Dann sah sie nach neuen E-Mails.
    Der WuG und die KTU hatten noch nicht geantwortet. Von Ersterem erwartete sie nicht viel, der mochte sie nicht, anders als Wilhelm Brenner, Schusswaffenexperte der KTU . Was er grundsätzlich an ihr schätzte, ließ sich nicht sagen. Das spezifische Interesse war eindeutiger: Sein neunzehnjähriger Sohn nahm seit zweieinhalb Jahren Meditationsunterricht bei einem japanischen Zen-Meister, was die Eltern über Monate in eine Art Panikschock versetzt hatte. Louise hatte beruhigt. Keine Tranceräusche, keine Drogen, keine perversen sexuellen Praktiken. Nur dasitzen und an nichts denken.
    Dringend, Leute, s
chrieb sie an Brenner und setzte den WuG ins CC .
    Dann ließ sie Google nach GoSolar suchen und bekam gut sechzigtausend Treffer. Auf der Firmen-Website viel Grün, viel Gelb, viele lächelnde Mitarbeiter. Die Gegenwart wunderbar, die Zukunft blühend. Ein mittelständisches deutsches Vorzeigeunternehmen, weltweit der achtgrößte Hersteller von Solarzellen. Sie überflog die Phrasentexte, hatte bald genug vom ökologischen Paradies.
    Da fiel ihr Ernesto Freudenreich ein.
    Die Wirtschaftler vom D 31 hatten ihre Büros im selben Stockwerk wie das D 11 . Drei Minuten später stand Louise vor Ernesto Freudenreich, der mehr an ein Reh als an einen Menschen erinnerte. Sprach man ihn an, zuckte er erschrocken zurück. Legte man ihm die Hand auf die Schulter, floh er hinter einen Stuhl oder einen Tisch. Machte man Anstalten, ihn zu umarmen, rettete er sich aufs Klo.
    Nicht dass irgendjemand ernsthaft daran gedacht hätte, Ernesto Freudenreich zu umarmen. Aber die Dezernatskollegen ergötzten sich gelegentlich daran, so zu tun als ob. Vielleicht, weil er die Schuld daran trug, dass das D 31 direktionsintern als »Filzlatschendezernat« firmierte. Ernesto Freudenreich, um die vierzig, tauschte die Straßenschuhe jeden Morgen gegen lilafarbene Filzhausschuhe.
    Bevor er zur Kripo gekommen war, hatte er jahrelang als diplomierter Betriebswirt in einer Privatbank gearbeitet, war in irgendwelchen fensterlosen Zahlenkerkern hinter Plastikfarnen verstaubt und hatte seine Angst vor Menschen und vor allem menschlichen Körpern kultiviert. Dann war die Bank pleitegegangen. Eine Woche nach seinem letzten Arbeitstag war Ernesto am Pfeiffer’schen Drüsenfieber erkrankt und hatte das Bett fünf Monate lang nicht verlassen können. Er hätte wohl heute noch darin gelegen, wenn er nicht einen Onkel namens Christian Almenbroich gehabt hätte.
    Almenbroich hatte den Neffen in einen Speziallehrgang der Kriminalpolizei für Quereinsteiger aus der Wirtschaft gezwungen, ihm ein fensterloses Einzelbüro, Plastikfarne und viele, viele Zahlen versprochen

Weitere Kostenlose Bücher