Das verborgene Netz
Bestrebungen von Migrantenorganisationen. Spionage, Scientology, Geheimnisverrat und ein paar Kleinigkeiten mehr.
Aus ihrer Erinnerung tauchte ein Name auf, dann noch einer und noch einer, bis die Liste ein Dutzend Personen umfasste. Ehemalige Kripokollegen, Mitschüler aus den Lehrgängen an der Akademie, Kommilitonen an der Hochschule in Villingen-Schwenningen. Alle hatten sie eines gemeinsam: Sie waren zum Verfassungsschutz nach Stuttgart gegangen.
BND ler empfand Louise als pathologische Heimlichtuer, aufgeblasene Spione, morallose Weltretter, und denen fuhr man gern in die Parade. Verfassungsschutzleute dagegen waren Kollegen, die man respektierte.
Das Spiel war zu Ende.
Nachts dann wieder Wertheim – derselbe Traum, dieselben lustlosen Augenpaare. Gegen vier Uhr morgens fuhr sie schweißgebadet hoch.
Der obligatorische Blick aufs Handy. Keine SMS überhört.
Sie ging ins Bad, um zu pinkeln. Minutenlang starrte sie das Haardschungelwesen im Spiegel an, das ihr immer fremder wurde. Solange es um den Alkohol und den Kampf gegen die Sucht gegangen war, hatte sie sich als Ganzes empfunden, als klar definierte Materie. Jetzt zerfloss sie in alle Richtungen.
In diesem diffusen Moment zwischen Schlafen und Wachsein begriff sie plötzlich, weshalb: Sie hatte Angst, Ben zu verlieren.
War das die Möglichkeit? Sie
liebte
ihn.
Nun, man hatte damit rechnen können, dass das eines Tages kommen würde. Und doch war es ein Schock.
Blieb nur die Frage, für wen der Schock größer war – für sie oder für ihn.
Sie kehrte ins Bett zurück, lag wach bis halb sechs. Als sie sich eben dazu durchgerungen hatte aufzustehen, schlief sie wieder ein.
5
DIE TRUPPEN WAREN AUSGERÜCKT , die Flure verwaist. Ein paar freundliche Worte von Pförtner Gregori im Herzen, betrat sie gegen halb zehn ihr Büro, das sie sich bis zum Sommer mit Thomas Ilic geteilt hatte. Ende Juli hatte er seinen Schreibtisch geräumt, kurz darauf war sie in den Zwangsurlaub vor Wertheim gegangen. Irgendein vernünftiger Mensch, der sie gut zu kennen schien, hatte verfügt, dass Illis Schreibtisch während ihrer Abwesenheit keinem anderen Kollegen zugeteilt wurde. Vielleicht derselbe vernünftige Mensch hatte eine Vase mit Blumen auf ihren Schreibtisch gestellt – allerdings ein Dutzend gelbe Chrysanthemen. Ein Mensch, der vor einem Jahr noch nicht bei der Kripo Freiburg gewesen war, denn sonst hätte er die Finger von Chrysanthemen gelassen. Der Fall »Merzhausen« hatte sie 2004 ins Chrysanthemen-geschmückte Lahr geführt und von Lahr in den Abgrund und von dort nach Kroatien und Bosnien.
Sie griff zum Telefon und tippte die Durchwahl ins Allerheiligste im vierten Stock. Während das Freizeichen erklang, startete sie den Computer.
»Willkommen zurück«, sagte Reinhard Graeve.
»Danke. Sind die Blumen von Ihnen?«
»Ich war für Lilien, aber Rolf meinte, Sie mögen Chrysanthemen.«
Sie schmunzelte. Wie man sich täuschen konnte – kein
vernünftiger Mensch, sondern ein unvernünftiger. »Wo ist er?«
»Nimmt zwei Tatverdächtige fest.« Graeve berichtete von dem Einbruch in Günterstal. Sie hatten einen Zeugen und eine Kfz-Nummer, Bermann und das Ermittlungsteam waren vor einer Stunde mit einem Durchsuchsuchungsbeschluss losgefahren.
Louise machte im Geiste drei Kreuze, das blieb ihr also erspart.
»Er wollte nicht länger warten«, sagte Graeve.
»Ist mir ganz recht.« Sie öffnete das E-Mail-Programm. Sieben Mails, vermutlich mit privatem Inhalt, zurückgeleitet heute früh von dem Kollegen, der sich während ihrer Abwesenheit um ihr Postfach gekümmert hatte. Eine achte Mail war gerade eingetroffen – Absender Eberhardt Rohwe, eine gmx-Domain, also privat. Betreff: »Die Wand«, ein paar Zeilen Text, ein Anhang, bestehend aus zwei Fotos.
»Wollen Sie kurz heraufkommen?«, fragte Reinhard Graeve.
»Gern.«
»Eine Tasse Tee?«
»Unbedingt. Aber nicht zu lange ziehen lassen.«
Graeve lachte und legte auf.
Sie öffnete den Anhang. Zwei Fotos von der getäfelten Zwischenwand – eine Halbtotale mit Schreibtisch, eine Nahaufnahme. Das Holz wies zwei Eindruckspuren auf, die etwa eineinhalb Zentimeter auseinanderlagen und, soweit sich das erkennen ließ, zwei Zentimeter hoch und zweieinhalb Zentimeter breit waren. Die linke saß etwas höher als die rechte.
Sie klickte sich zum Mail-Text zurück.
Höhe einsfünfundsechzig, irgendein Muster. Harter Gegenstand, vermutl. eckig. Splitter von Holz auf Teppich hinter Schreibtisch,
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