Das verborgene Netz
Verhältnis zwischen Mitarbeitern und Management hatte sich verschlechtert. Der Krankenstand war gestiegen, langjährige Angestellte hatten gekündigt. Der Wind war rauer geworden, die Konkurrenz untereinander gewachsen. Manche Kollegen klagten über mobbingähnliche Zustände, sexuelle Belästigung, üble Nachrede. »Hier ist seit Monaten der Wurm drin«, sagte Annette Mayerhöfer, »und ich lasse mich nicht von ihm annagen.«
»Könnte es sein, dass die Gerüchte absichtlich gestreut wurden? Von einem Wettbewerber? Um GoSolar in Schwierigkeiten zu bringen und vielleicht sogar vom Markt zu drängen?«
Mayerhöfers Zeigefinger hielt in der Bewegung inne, ihre Augenbrauen senkten sich. »Wie meinen Sie das?«
»Nur so ein Gedanke.«
»Ein ziemlich … brisanter Gedanke. Gibt es Hinweise in diese Richtung?«
»Keine konkreten.«
»Aber einen Verdacht?«
»Nur vage Ahnungen.«
»Hm. In Bezug auf einen bestimmten Wettbewerber?«
»So weit sind wir noch nicht.«
Mayerhöfer nickte, der Zeigefinger nahm den Takt wieder auf. »Um Ihre Frage zu beantworten … « Denkbar sei es natürlich, auch in den grünen Branchen werde mit harten
Bandagen gekämpft. Anhaltspunkte dafür sehe sie jedoch nicht, noch weniger einen Anlass und schon gar keinen in Frage kommenden Konkurrenten. »Aber Sie stellen solche Überlegungen sicher nicht grundlos an, also muss man es wohl in Betracht ziehen. Bin ich froh, dass ich gehe.«
Als es klopfte, legte sie den Zeigefinger an die Lippen. »Ja?«
Die Tür zum Nachbarbüro öffnete sich, ein ausgesprochen gutaussehender Mann in den Dreißigern stand auf der Schwelle und weckte Erinnerungen an heiße Sommertage – große dunkle Augen, brauner Teint, weißes Hemd, beige Flanellhose, hellbraune Loafer ohne Socken, als wäre er einem Golfermagazin entsprungen, dazu ein sympathischherzliches Lächeln, das nicht weniger herzlich wurde, als er Louise bemerkte.
Sie prüfte die Brauen, auch die konnten sich sehen lassen.
»Entschuldigung. Haben Sie schon zu Mittag gegessen?«
»Ja«, erwiderte Mayerhöfer.
»Schade.«
»Nehmen Sie die Lasagne, schmeckt hervorragend.«
»Mein Leibgericht.« Der Golfer strahlte, Mayerhöfer strahlte. Dann schloss sich die Tür.
»Wow«, sagte Louise.
»Sie können ihn haben, ich fange nichts mit Kollegen an. Aber beeilen Sie sich, die halbe Belegschaft ist hinter ihm her. Auch die Männer.«
Louise wehrte lachend ab. Nur schauen, nicht anfassen.
Doch etwas hatte sie an dem kurzen Auftritt des Golfers und Mayerhöfers Antwort irritiert. Schon zu Mittag gegessen … Sie sah auf die Uhr – halb zwei. Kleinerts Büro um Viertel vor zwölf verlassen, gegen zwölf an Mayerhöfers Tür
geklopft – sie hatte über eine Stunde geschlafen, im Wartebereich einer Firma über Sessellehnen hängend …
Zurzeit gab die Kripo Freiburg wahrlich kein gutes Bild ab.
Noch etwas war ihr aufgefallen. »Man siezt die Kollegen bei GoSolar? Ich dachte, hier wäre alles … na ja, grün.«
Mayerhöfer lächelte. »Die Branche ist dem alternativen Spirit von Berlin-Kreuzberg entwachsen. Dafür mischen die Firmen jetzt in der Weltspitze mit. Verdammt, ich habe Ihren Latte macchiato vergessen. Soll ich Ihnen einen holen?«
»Nein, danke.«
»Ist wirklich kein Aufwand.«
Louise schüttelte den Kopf. »Der Kollege ist neu?«
»Doch interessiert?«
»Seit wann arbeitet er bei GoSolar?«
»Sie s
ind
interessiert.«
Tür an Tür mit Esther Graf und offenbar neu, dachte Louise. Ja, sie war interessiert.
»Seit September«, sagte Mayerhöfer.
»Wie heißt er?«
»Philipp.«
»Ein Deutscher?«
»Komische Frage. Ja.«
»Und sein Nachname?«
Mayerhöfer räusperte sich. »Ich hätte hinzufügen müssen: Philipp und ich sind ja bald keine Kollegen mehr.«
»Verstehe.«
»Nichts Ernstes. Nur ein kleiner platonischer Flirt, der ein nichtplatonisches Finale braucht. Ich beginne nichts, ohne es auf adäquate Weise abzuschließen.«
»Ich komme Ihnen nicht in die Quere, versprochen.«
»Gut.« Mayerhöfers Blick war sanft, die klaren Züge weicher geworden. »Jetzt einen Latte macchiato?«
»Nein. Nur den Nachnamen, Frau Mayerhöfer.«
»Schulz.«
Philipp Schulz, Büronachbar von Esther Graf, seit September bei GoSolar. Louise rieb sich die müden Augen. Schutzengel, vermummte Schatten, heimliche Beobachter, der aufgescheuchte Verfassungsschutz. Und ein Schuss ins Blaue. »Ich muss mit ihm sprechen.«
»Also doch interessiert.«
»Rein beruflich.«
»Was es nicht
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