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Das verborgene Netz

Das verborgene Netz

Titel: Das verborgene Netz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Bottini
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ihren Ohren verklingen.
     
    Sie wartete neben ihrem Wagen. Die Novembersonne schien überraschend grell, von den Autodächern und der Gebäudefassade sprangen die Lichtreflexe direkt ins Schmerzzentrum in ihrem Kopf. Sie kniff die Augen zusammen, versuchte das Summen zu ignorieren. So wenig Gerhard Kleinert letztlich auch gesagt hatte, er hatte ein interessantes Stichwort geliefert – »französisch«.
    Referat A des Verfassungsschutzes war für Spionageabwehr,
Proliferation und Wirtschaftsschutz zuständig. Henning Ziller, Leiter des Referates, hatte gesagt, es gehe um die Sicherheit des Landes, was vielleicht bedeutete: um die Sicherheit
der Wirtschaft
des Landes. War GoSolar von Industriespionage betroffen?
    Doch der Verfassungsschutz wurde erst aktiv, wenn ein ausländischer Geheimdienst involviert war. Konkurrenzspionage interessierte das Amt nicht, bei Wirtschaftsspionage sprang es mit dem Versprechen zu schweigen in den Ring, wenn es um Hilfe gebeten wurde. Ein idealer Partner für um ihren Ruf besorgte Unternehmen: Für den Verfassungsschutz galt das Opportunitätsprinzip, er
konnte
ermitteln, falls Straftaten ans Licht kamen, anders als die Kripo, die dem Legalitätsprinzip unterlag und ermitteln
musste
.
    Rolf Bermann trat aus dem Gebäude und kam langsam auf sie zu. Er trug die Jacke in der Hand, unter seinen Achseln waren Schweißflecken zu erkennen. Sein Blick lag auf ihr, seine Miene wirkte konzentriert. Kein strenger Chef mehr, sondern ein betroffener, auch wenn er das nie zugeben würde.
    »Was war das, Louise?«
    »Kreative Zeugeneinvernahme.«
    Er schnaubte durch die Nase.
    »Ich bin einfach sehr müde, Rolf.«
    »Dann schlaf dich aus.«
    »Und ich hab diesen Scheißton im Ohr.«
    »Tinnitus?«
    »Quatsch. Eine kaputte Deckenleuchte.«
    »Solange du weißt, was du tust.«
    »Das weiß ich meistens.«
    Bermann ging an ihr vorbei zu seinem Wagen, sie folgte ihm. Die Blinkerleuchten flammten mit einem Singsang
auf, als freute sich das Auto, dass er zurück war. Während er die Beifahrertür öffnete und die Jacke auf den Sitz warf, sagte er freundlich: »Mal wieder deine Landsleute, was?«
    Sie besprachen die Möglichkeiten. Ein französischer Konkurrent, ein französischer Geheimdienst – dem die drei Männer aus Esthers Haus angehörten? Das würde die Wanzen und Kameras erklären und auch, weshalb sie so zurückhaltend agiert hatten.
    Louise zog die Fondtür von Bermanns Wagen auf und setzte sich in den Schatten. Das Gewicht in ihrem Kopf war tonnenschwer geworden. »Aber hat Kleinert nicht gesagt, dass die französische Solarbranche keine Konkurrenz ist? Dass der Markt bei denen zu klein ist?«
    »Vielleicht exportieren sie.«
    Sie nickte.
    »Oder sie versuchen, den Markt mit einem neuen Produkt aufrollen. Wenn sie keins haben, beschaffen sie sich die Konstruktionsdaten eben von einem deutschen Konkurrenten.«
    »Solarzellen für Autos?«
    Bestätigend hob Bermann die Brauen. »Und wenn sie schon mal dabei sind, können sie gleich noch ein paar Gerüchte über den deutschen Konkurrenten streuen. Wäre doch praktisch, wenn er in die Insolvenz muss.«
    Louise lehnte Kopf und Schulter an die Rückbank. Selbst hier, in Bermanns Auto, eingetaucht in seine Gerüche, auf einer seiner Sexspielwiesen, hätte sie geschlafen, wenn Schlaf jetzt möglich gewesen wäre. »Aber gleich ein Geheimdienst?«
    »Sonst wäre der Verfassungsschutz nicht zuständig.«
    Sie gähnte. Vor zwei Minuten gedacht und schon vergessen.
    Sie wusste, dass der Gedanke nicht absurd war. Viele ausländische Dienste waren aufgeschlossen, was die Unterstützung der nationalen Wirtschaft betraf, manche per Gesetz dazu angehalten. Sie stellten Erkenntnisse über ausländische Konkurrenten zur Verfügung, beschafften Informationen. Der Globus wurde von elektronischen Datenströmen umspült, im Äther herrschte ein einziges Stimmengewirr. Satelliten und Bodenstationen sammelten Gigabyte um Gigabyte an Wörtern und Daten. Wenn das nicht genügte, zapfte man Telefone an, fing E-Mails ab, belauschte leichtsinnige Firmenchefs oder redselige Mitarbeiter in Flugzeugen und Zügen, sprach Sekretärinnen im Supermarkt an, gab sich auf Messen als interessierter Kollege aus, drang in unzureichend gesicherte Server oder Intranets ein. Amerikanische Geheimdienste taten das, russische, chinesische, britische, israelische – und, wenn man den Gerüchten glauben konnte, auch französische wie der Auslandsgeheimdienst Direction Générale de la

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