Das verborgene Netz
ihn um Himmels willen in Ruhe.«
»Mal sehen. Wird schon nicht so schlimm.«
Sie startete den Motor und fuhr los. Bermann erkundigte sich nach dem »Gespräch unter Frauen«, und sie erzählte von Mayerhöfer, Philipp Schulz und Heinrich Willert. Nachdem sie geendet hatte, schwieg Bermann. Sie ahnte, was er dachte – welche abstrusen Gedanken gingen der Kollegin da wieder durch den Kopf?
»Lass mich raten. Du bist unterwegs zu Schulz«, sagte er schließlich.
»Ich bin unterwegs zum Döner am Schwabentor.«
»Der bei Schulz um die Ecke ist?«
»Na ja, wenn ich dann schon mal in der Gegend bin.«
»Für mich mit extra viel Fleisch und scharf.«
Seufzend legte sie das Handy zur Seite. Ganz geheuer waren ihr Bermanns plötzliche Kollegialität und Sorge nicht. Sie wäre lieber allein zu Schulz und anschließend zu Willert gefahren. Doch sie war froh, dass Bermann nicht vergaß, was ihr nur noch am Rande des Bewusstseins präsent war: Das Terrain wurde immer unübersichtlicher, und falls sie auf der richtigen Spur waren, drängten sie den unsichtbaren Gegner immer weiter in die Ecke.
Und damit wuchs die Gefahr.
Die Döner waren eben fertig geworden, als Bermann eintraf.
Sie setzten sich an einen der wenigen Tische und aßen. Bermanns Schnurrbart war nach wenigen Bissen von der Soße rot gefärbt, seine Finger troffen. Seine Augen lagen auf ihr. »Was macht die Deckenleuchte?«
»Surrt und summt.«
»Wird besser, wenn du dich mal ausgeschlafen hast.«
Sie nickte.
»Bevor ich’s vergesse.« Bermann kaute und schluckte. Es gab Neuigkeiten zu Hans Peter Steinhoff.
Ernesto Freudenreich hatte sich mit zwei Computern, zwei Litern Milch und vier Gläsern Apfelmus irgendwo in einem Kellerraum vergraben, wo ihn niemand aufstöbern würde. Von Zeit zu Zeit meldete er sich per E-Mail. Er hatte über das Internet herausgefunden, dass Steinhoffs letzte Print-Artikel 2000 erschienen waren. Seitdem nur noch Online-Publikationen, alles Kleinkram, vor allem Fußball und nicht mehr als vier Berichte jährlich – ein gelernter Journalist im Hauptberuf, der kaum noch veröffentlichte. Interessanter aber war, dass er in den letzten Jahren bei zahlreichen internationalen Solarenergiemessen und -konferenzen akkreditiert gewesen war. »Deutschland, USA , China, Russland, Spanien, Frankreich, und was weiß ich, wo noch. Der ist nicht nur für den BND unterwegs.«
»Sondern?«
Bermann musterte sie mit leichtem Erstaunen, als läge die Antwort auf der Hand.
Sie tippte sich gegen die Stirn. »Das Ding in meinem Kopf, ich komme gerade nicht drauf.«
»Er handelt mit Informationen.«
»Erzählt dem einen, was der andere gerade entwickelt?«
»Vielleicht hat er auch nur einen Abnehmer.«
»Ein französisches Unternehmen.«
»Oder einen französischen Geheimdienst«, sagte Bermann.
»Und der Schutzengel und seine Leute?«
»Von den Franzosen angeworben, damit sie GoSolar ausspähen?«
Sie griff zur Wasserflasche, trank das letzte Drittel auf einen Zug. Das Ding in ihrem Kopf blockierte Übertragungswege, verhinderte hundertprozentige Konzentration. Doch an seinen Flanken mogelten sich Ahnungen vorbei, und eine davon sagte, dass an Bermanns These etwas nicht stimme. Steinhoff
konnte
nicht nur der Informationslieferant sein, sonst wäre er kaum in Berlin vor Esthers Zimmer aufgetaucht. Der Schutzengel und Steinhoff
konnten
nicht auf derselben Seite stehen, sonst hätte der eine nicht versucht, den anderen zu töten.
Sie rieb sich die Augen. Zu müde, um nachzudenken. »Wir müssen die Leute auf der Liste überprüfen.«
»Ich dachte, das läuft bereits.«
»Nicht bloß die Namen, Rolf. Die Personen.«
Bermann runzelte die Stirn.
»Schulz machen wir, die anderen sollen die Kollegen übernehmen«, sagte sie.
»Sachte, sachte. Wir wollen doch niemanden verschrecken.«
Er hatte recht. »Abgesehen von Schulz.«
»Was willst du ihn fragen?«
»Zum Beispiel, wo er heute Morgen um drei war.«
Und sie wollte seine Augen sehen. Wenn Philipp Schulz der Schutzengel war, würde sie ihn an den Augen erkennen.
Kurz darauf traten sie auf die Herrenstraße hinaus, wandten sich in Richtung Norden. Schulz wohnte in einem der
schmalen einstöckigen Häuschen vor dem Münsterplatz im Dachgeschoss. Sie klingelten, warteten vor der Eingangstür unter einem Erker, klingelten erneut, da niemand öffnete. Louise trat ein paar Schritte zurück und blickte hinauf. Altrosafarben gestrichen, je drei Fenster in Erdgeschoss und erstem
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