Das verborgene Netz
besser macht, wenn man bedenkt, welchen Beruf Sie haben.« Mayerhöfer lehnte sich im Stuhl zurück. »Sie sind nicht wegen der Gerüchte gekommen.«
»Nicht nur.« Louise musterte sie, fragte sich, ob sie ihr trauen konnte. Ginge sie nach ihrem Gefühl, dann ja. Aber sie wusste, dass sie sich in diesen Tagen nicht auf ihr Gefühl verlassen sollte. Also blieb sie vage – drei bewaffnete Männer, Entführung zweier Kollegen, versuchte Tötung in Berlin, der Name GoSolar gefallen, die Hintergründe unklar.
»Und Sie halten es für denkbar, dass Philipp damit zu tun hat?«
Louise zuckte die Achseln. »Ich rüttele am Baumstamm und hoffe, dass jemand runterfällt.«
Mayerhöfer musterte sie schweigend. Die Sanftheit in ihrer Miene war fort, ihr Blick wieder distanziert und beherrscht, als hätte sie im Geiste eine Risikoanalyse durchgeführt und sich dann von einer Sekunde auf die andere damit abgefunden, dass der adäquate Abschluss eines kleinen platonischen Flirts eben nicht immer so aussah, wie man es sich wünschte.
»Tut mir leid«, sagte Louise.
»Passiert nun mal. Wie gesagt, nichts Ernstes. Nichts, was sich nicht ersetzen ließe.« Mayerhöfers Zeigefinger geriet wieder in Bewegung, klopfte seinen Takt, langsam, langsam, schnell. »Sie sollten wissen, unter welchen Umständen Philipp zu GoSolar gekommen ist. Keine Ahnung, ob es von Bedeutung ist, aber merkwürdig war es schon. Interessiert?«
»Klar.«
Schulz’ Vorgänger Heinrich Willert war im August fristlos entlassen worden – auf seinem Bürorechner waren pornographische Filme mit minderjährigen Jungen gefunden worden. Die Firmenleitung hatte auf eine Anzeige verzichtet, weil Willert die Kündigung akzeptiert hatte. Er hatte zwar behauptet, dass er die Filme nicht heruntergeladen habe. Doch sie hatten in einem passwortgeschützten Bereich gelegen, zu dem nur er Zugang gehabt hatte, und sie waren über einen längeren Zeitraum abgespeichert worden – nie während seines Urlaubs, nie, wenn er einmal krank gewesen war. Er hatte an den entsprechenden Tagen zu den entsprechenden Uhrzeiten am Schreibtisch gesessen.
»Wie wurden sie entdeckt, wenn nur er Zugang dazu hatte?«
»Reiner Zufall. Wir schalten unsere Rechner über Nacht nicht aus. Er hatte vergessen, das Programm zu schließen, mit dem er sich die Filme angesehen hat. Die Reinigungskraft hat die Maus beim Saubermachen bewegt, der Rechner kam aus dem Standby, und das war’s.«
Louise schwieg. Falls GoSolar tatsächlich ausspioniert wurde, lag der Gedanke nahe, dass ein Spitzel eingeschleust worden war.
Dem man vielleicht einen Arbeitsplatz freigeräumt hatte.
Wenige Minuten später ging sie. Als sie die Treppe erreicht hatte, fiel ihr Blick durch die Glasfront nach draußen. Ein Mann in einer beigen Hose überquerte den Parkplatz auf einem Fahrrad und entfernte sich schnell. Philipp Schulz schien sich anders entschieden zu haben – doch keine Lasagne, stattdessen Döner oder Sushi oder Bratwurst vom nächsten Imbiss.
Oder er war auf dem Weg zu jemandem, der darüber informiert werden musste, dass die Kripo bis in Esther Grafs Büro vorgedrungen war.
Dann allerdings stellte sich die Frage, woher er wusste, wer sie war. Möglicherweise, dachte sie, hatte er sie ja schon einmal gesehen – auf einem Monitor, der Bilder von den versteckten Kameras bei Esther empfing.
Sie wandte sich um und ging zur Kaffeetheke. Tief in ihrem Kopf, inmitten des Ideenkompostes, schwelte ein Gedanke, und wie so viele Gedanken in diesen Tagen der Erschöpfung wollte sich auch dieser nicht gleich ans Licht holen lassen. Missmutig presste sie den Finger auf ein vielversprechendes Symbol.
Während der Latte macchiato duftend in ein hohes Glas strömte, nahm der Gedanke Formen an. Falls sie recht hatte, war irgendwann in diesem Jahr ein Netz um GoSolar geknüpft und ein Spitzel in der Firma platziert worden. Doch wer sagte, dass man sich mit
einem
Maulwurf begnügt hatte?
Annette Mayerhöfer widersetzte sich nach allen Regeln der Kunst – technisch schwierig, juristisch heikel, außerdem zutiefst illoyal. »Ausgeschlossen!«
»Ist doch nur Papier.«
Mayerhöfer schüttelte den Kopf. »Nein.«
Louise hängte die Jacke wieder über den Stuhl, stellte das Glas auf den Schreibtisch, setzte sich. Schweigend sahen sie sich an.
»Verdammt«, sagte Mayerhöfer.
»Ich weiß, ich bin unangenehm.«
»Ein Euphemismus. Sie sind eine Plage.«
Louise lächelte. »Eine Plage auf der Seite der Guten.«
»Was am
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