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Das verborgene Wort

Das verborgene Wort

Titel: Das verborgene Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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frisch gelegte Frisur richtig sitze.
    Bis in den späten Nachmittag trieb ich mich am nächsten Tag auf der Straße vorm Haus herum. Hanni ließ sich nicht blicken. Wir hatten schon unsere abendlichen Butterbrote gegessen, als es klingelte, ein drohend anschwellendes Schellen. Hannis Mutter. Sie rang nach Luft, riß sich die Bluse auf und konnte nur noch: Dä Pastur, dä Pastur hervorstoßen.
    Berta, schrie die Mutter und schob der Tante einen Stuhl zu. Der Vater machte sich in den Werkzeugschuppen davon. Ich lauerte in der Ecke unterm Kruzifix. Der Tante hatte es die Sprache verschlagen. Das konnte nur eines bedeuten: Lessing hatte gesiegt.
    Dat Hanni es bei däm Kääl. Esch kumm jrad vum Pastur. Dä hät jesäät, et künnt dänn hierode, wenn hä sesch kattolesch traue löt un de Kenger kattolesch jedöv wäde. [45] Nä! Nä! Nä! Die Tante riß die Bluse noch weiter auf, die lachsfarbenen Hügel des Satinkorsetts verbreiteten in der dämmrigen Küche einen milden Schein. Wat soll userens dann do noch jlöve [46] ? Wenn kenner mieh do es, dä e Machtwort sprischt! Wat do dä Ohm ze säät! Wo es dann de Oma?
    Im Kapellchen, sagte ich triumphierend. Beten.
    Mitten auf dem Platz vor der Kirche zahlte mir Hanni am nächsten Sonntag meine zweite Mark. Morjen jehn mir Ringe kaufen. Ävver für jeden einen! flüsterte sie mir zu. De Haupsach es, et Häz es jut, sang sie laut, und ich fiel ein: Nur dorop kütt et an. Wat soll dat dann? fragte die Mutter entgeistert. Daß man mich nicht für voll nehmen konnte, war nichts Neues. Doch jetzt auch noch die Nichte? Das mußte der Brautstand sein.
    Ferdi war Hanni ergeben. Er begleitete sie nicht nur bis an die Kirche, vielmehr trat er mit ihr durchs Hauptportal, trennte sich dort von ihr und ging, als hätte er nie etwas anderes getan, durchs Mittelschiff auf die rechte, die Männerseite, wo er stand, saß, kniete und Kreuzzeichen schlug wie alle anderen, aussah wie einer von ihnen, nur daß er den am schärfsten ausrasierten Nacken trug.
    Nicht lange, und er schaffte sich ein Gebetbuch an, sang von Messe zu Messe lauter mit, bis, da war endlich das Aufgebot bestellt, sein kräftiger Tenor das schleppende Gebrumm der Männer sieghaft überstrahlte und anfeuerte. Ferdi ging mit Hanni zum Brautunterricht und machte, streng von ihr abgesondert, die Wallfahrt nach Kevelaer. Doch als er sich kurz vor dem fünfzigsten Geburtstag von Hannis Mutter ein Lippenbärtchen stehenließ, das er an den Enden ein wenig in die Höhe zwirbelte, was der Cousine über die Maßen gefiel, hätte er fast wieder alles verdorben. Dä süht jo us wie ne Franzus, empörte sich die Tante. Nä, sujet kütt mer nit en et Huus. Zum Geburtstagskaffee erschien Ferdi wieder mit glatter Oberlippe, die Haare in Nacken und Ohrenbereich schärfer rasiert denn je.
    Es war langweilig bei den Vettern und Cousinen, die schon Geld verdienten, Geschichten von der Arbeit erzählten, von Uberstunden, Akkord und Schichtarbeiterzuschlägen, und die über Witze lachten, die ich nicht verstand. Ich vertrieb mir die Zeit mit der >Kristall<, die die Tante aus dem Haushalt des Drogisten mitbrachte, wo sie zweimal in der Woche putzen ging. Schon ein paarmal hatte ich vergeblich versucht, mich in einen Artikel über die Bauern im Engadin zu vertiefen, als Hanni mich bei der Hand nahm und ins Wohnzimmer hinüberzog, wo man den Ausziehtisch wieder zusammengeschoben und ans Fenster gerückt hatte. Der Neckermann-Perser, pünktlich als Überraschung angeliefert, lag zusammengerollt darunter.
    Die Großmutter trug noch Schwarz, alle anderen aber schon >gedeckt<, schwarz-weiß oder dunkles Grau, der Großvater war fast ein Jahr unger dä Ääd. Es durfte wieder getanzt werden. Wenigstens in der Familie. Sogar bei de Möhne im Fastelovendszoch war Hanni in diesem Jahr nicht mitgegangen, das hätten ihr die Dondorfer verübelt. Jetzt aber wurde die Musiktruhe aufgeklappt. Sie war Hannis persönliches Eigentum und würde das neue Heim als Teil der Aussteuer schmücken. Seit sie von der Näherei in die Weberei gewechselt war, hatte die Cousine dafür gespart und sie als eine der ersten im Dorf bei Schreiner Kranepohl bestellt. Wenn die letzte Rate bezahlt war, wollte man heiraten. Ferdis Angebot, den Rest zu übernehmen, hatte Hanni abgelehnt. Diese Truhe sollte ihr allein gehören. Im joldenen Oktober, schwärmte die Tante, versöhnt durch das Machtwort des Pastors, der Mißbilligung des Ohms zum Trotz, sollte die Hochzeit sein.
    Hanni

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