Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das verborgene Wort

Das verborgene Wort

Titel: Das verborgene Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
Vom Netzwerk:
es flotter als Heldejaad. So wie Hanni meinen alten Namen aussprach, reute es mich sekundenlang doch, ihn aufgegeben zu haben. Aus ihrem Mund klang das Platt des Dorfes frisch und unternehmungslustig, fast aufsässig.
    Heute drehte sie, als ich aus der Schule kam, der Mutter in der Küche die Haare auf, hielt Lockenwickler in den Händen, eine Haarnadel im Mund, und hatte verweinte Augen.
    Tach Hanni, sagte ich. Die Frauen verstummten. Tach Hanni, sagte ich lauter. Die Cousine stöhnte. Die Haarnadel fiel ihr aus dem Mund, der Mutter in den Kragen. Unbeholfen fummelte die unter ihrem Kittel herum. Tach Hilla, sagte Hanni, ach Kenk, du häs et joot. Du wes jo nit, wie joot du et häs, dat de op de Scholl jonn kannst.
    * Sogar an hohen Feiertagen nicht.
    Ich senkte den Kopf. Ja, ich hatte es gut. Hanni hatte nur die Wahl zwischen Weberei und Ehe.
    Esch han de Wäv [43] bes he! Hanni strich sich mit der Handkante übern Hals.
    Jo, Hanni, dat jlöv esch. Die Mutter stach mit ihrer Haarnadel ein paarmal in die Luft. En Frau jehürt en et Huus. Nit en de Fabricke. Un dann mät he sesch jo och de Fenger nit dreckisch.
    Jeden Montag machte sich die Mutter stöhnend mit Wurzelbürste und grüner Seife auf dem Waschbrett über die ölver- schmierten Blaumänner des Vaters her. Sie wurden sonntags in zwei Zinkbütten eingeweicht und dann in dem steinernen Kessel, dem Muurpott, gekocht, in dem die Großmutter noch das Schweinefutter zubereitet hatte. Ferdi hatte einen sauberen Beruf.
    Hanni schluchzte auf. Die Tante hatte ein Machtwort gesprochen und Ferdi das Haus verboten.
    Esch han et kumme sinn, die Mutter erhob sich seufzend. Jejen die küs de nit an. Esch mach däm Kenk jitz sing Esse wärm.
    Hanni, sagte ich und zupfte die Cousine am Ärmel. Isch weiß wat. Ich hatte mir angewöhnt, mit Eltern, Verwandten und Nachbarn eine unbestimmte Mischung aus Kölsch und Hochdeutsch zu sprechen. Kölsch für Belangloses, Hochdeutsch fürs Wichtige. Reines Hochdeutsch für den Widerspruch.
    Hanni, isch weiß wat för disch.
    Och, Hilla, sagte Hanni und schluckte an ihrem Grießpudding mit Himbeersaft. Wie wells du mer dann hölpe?
    Die Mutter ließ ein paar Ringe auf die Herdplatte rasseln, schüttelte den Kopf und murmelte etwas vom >dolle Döppe<.
    Isch nit allein, sagte ich. Isch und dä Lessing.
    Lessing? echote Hanni. Wer es dat dann?
    Lessing ist ein Dichter, sagte ich im höchsten Hochdeutsch: Gotthold Ephraim Lessing.
    Die Cousine lachte verlegen. Och Jott, ne Dischter. Un wo wohnt dä?
    Der ist schon lange tot.
    Och dat noch! Un wie soll dä mir dann hölpe? Dinge Lessing. Dä Lessing hät wol nix jejen dä Ferdi. Avver de Mamm.
    Hör mir doch erst einmal zu. Hör doch erst mal, was der Lessing dazu sagt.
    Ich zog das Reclamheft aus der Schultasche und hielt es Hanni hin: Nathan der Weise. Ein dramatisches Jedischt in fünnef Auf- züjen. Wat es dat dann? Ein dramatisches Jedischt in fünnef Aufzügen?
    Das ist ein Schauspiel, sagte ich. Ein Theaterstück. Wie auf der Freilichtbühne.
    Jedes Jahr im Sommer kam aus dem Bergischen Land das Schloßtheater Burg. In einem parkähnlichen Streifen hinter der Kirche zwischen Straße und Rheinwiesen hatten die Nazis für ihre Heldengedenkfeiern eine Bühne mauern lassen mit einem Halbrund ansteigender Holzbänke, die Anlagen. Nach dem Krieg waren die gußeisernen Hakenkreuze von den Säulen entfernt und durch Blumenschalen ersetzt worden. Die Bühne blieb eine nützliche Einrichtung.
    Vor kurzem hatten Hanni und Ferdi mich zu einer Aufführung mitgenommen. Das Stück hieß >Hamlet<, wie Kotlett, hatten die Zuschauer gescherzt. Am Ende waren auf der Bühne fast alle tot, doch in Dondorf hieß es: Dat wor besser als Fa- stelovend! Eine zutrauliche Kaninchenfamilie hatte den Dänenprinzen an die Wand gespielt.
    Hanni war noch immer mißtrauisch.
    In Aufzüje? Wat soll dat heißen, Aufzüje?
    Fünf Abschnitte, erklärte ich kurz und hochdeutsch. Das Schauspiel ist in fünf Teile geteilt.
    Un dat soll hölpe?
    Hilfesuchend blickte Hanni nach der Mutter. Die kehrte uns weiter den Rücken zu und machte sich am Herd zu schaffen. Aus allem, was mit Büchern zu tun hatte, hielt sie sich seit langem heraus.
    Hör zu, sagte ich. Hör zu.
    In der Schule lasen wir mit verteilten Rollen. Liebte ich eine Figur, gerade war es Recha aus >Nathan der Weise<, behielt ich mühelos jedes ihrer Worte. Vor ein paar Tagen hatte ich ihre Macht erprobt. Am Vater.
     

Die ersten unreifen Klaräpfel fielen in die

Weitere Kostenlose Bücher