Das verborgene Wort
- Heriberts Mutter - hät mer doch nur römjedock- tert, empörte sich die Tante. Daß Maria gleich in Düsseldorf operiert wurde, erschreckte und beruhigte sie zugleich.
Vor dem dreiteiligen Spiegel der Frisierkommode im Elternschlafzimmer zog ich meinen Pullover aus, das Unterhemd und das Leibchen. Die Leibchen waren jetzt aus Baumwolle und kratzten nicht mehr; ich haßte sie dennoch. Meine Brüste, nicht viel mehr als zwei Ideen, die unter der Haut heranwuchsen, wurden durch dieses Kleidungsstück, das bis zur Taille reichte und an Gummibändern die Strümpfe halten mußte, eng an die Rippen gepreßt, beinah unsichtbar. Sie waren kleiner als der Knoten, den man Maria entfernen würde. Ich beugte mich vor, richtete die Spiegelflügel, daß ich dieses Wunder von allen Seiten bestaunen konnte, dieses wachsende, gesunde Wunder. Ich dehnte und reckte mich wie in der Turnstunde, konnte mich gar nicht satt sehen an meinen Spiegelungen, als das bekannte Brausen anhob und ich den Spiegel hastig zusammenklappte.
Am Dienstag hatte die Tante in der Küche gesessen, am Donnerstag war Maria, so die Mutter, unters Messer gekommen, am Sonntag fuhren wir nach Düsseldorf. Wir, die Tante, die Mutter, Hanni und ich. Wir, die Frauen. Von Dondorf nach Strauberg mit der Straßenbahn. Von Strauberg bis Möhlerath mit dem Bus.Vön Möhlerath mit dem Zug bis Düsseldorf Hauptbahnhof. Über Bilkenbach, wo die Tante ihre Tochter in die Seite puffte und vielsagend nickte, während Hanni verlegen meinen Blicken auswich. Vom Hauptbahnhof noch einmal mit der Straßenbahn direkt vors Krankenhaus. Reiche Beute für meine Sense.
Die Blumen ließen schon die Köpfe hängen. Anstatt seine
Braut selbst zu besuchen, hatte Heribert der Tante ein wuchtiges Gebinde mitgegeben, so zwischen Braut- und Grabstrauß, das er sich etwas hatte kosten lassen. Die Mutter hatte ein Glas Pfirsiche eingepackt, Hanni ein Nachthemd, ein Hochzeitsgeschenk, noch in der Verpackung. Ich hatte für Maria >Das Leben der Therese von Konnersreuth< ausgeliehen. Wegen der Wundmale.
Die Städtischen Krankenanstalten lagen in einem schwer überschaubaren Gelände hinter hohen, mit lanzenartigen Spitzen versehenen Eisengittern verstreut auf zahlreiche Gebäude aus graugelben Klinkern mit schmutzigen Stuckverzierungen. Die Frauenklinik gleich hinter dem Hauptportal war eines der ältesten und düstersten Häuser. In der Eingangshalle saßen Männer in Anzügen und Frauen in Morgenmänteln und rauchten. Die Luft zog in blauen Schwaden aus dem Fenster, noch im ersten Stock, der Chirurgie, mischte sich der Zigarettenrauch mit dem Geruch von Bohnerwachs und Karbol.
Gleich hinter der Tür in Marias Achtbettzimmer lag ein Wesen, geschrumpft und kahlköpfig, ähnlich der Mumie in meinem Geschichtsbuch. Der lippenlose Mund stand offen, wie beim Großvater, ehe man ihm eine Streichholzschachtel unters Kinn gepreßt hatte, und röchelte. Ein dicker Mann mittleren Alters in einem großkarierten, viel zu engen Anzug, beugte sich über das Bett daneben und flüsterte Unverständliches gegen einen Haufen Bettzeug und ein Büschel Dauerwelle.
In den nächsten Betten erzählten sich zwei kahle Frauen in grünen Nachthemden, die am Hals mit einem Band wie ein Sack zusammengehalten wurden, Witze von Tünnes und Schäl und lachten in vorsichtigen, abgehackten Anläufen, als müßten sie rülpsen. Mit ihren schimmernden Schädeln sahen sie aus wie Wesen von einem anderen Stern.
Maria hatte Haare. Die Frau im Bett gegenüber auch. Sie war im gleichen Alter wie die Tante, rund und rosig. Doch die Farbe war nicht echt, und das erschöpfte Gesicht glänzte vor Schweiß, was weder der Ehemann noch die beiden erwachsenen Kinder zu bemerken schienen. Sie amüsierten sich mit Geschichten aus Kegel- und Gartenbauverein. Auch Maria hatte eine merkwürdige Farbe. Kinn und Stirn von wächsernem Weiß, Hals und Wangen bis hinunter ins hellblaue Nachthemd ein dunkles Pur- pur. Sie saß aufrecht, gestützt von zwei aufgeplusterten Kissen. Gespannt sah sie noch zur Tür, als wir diese schon hinter uns geschlossen hatten. Sie blieb zu.
Dä es vun dem Häbäät, sagte die Tante statt einer Begrüßung. Dä hät, dä hät... Sesch verkohlt, sprang Hanni ihr bei. Sunne decke Hals un Hoste. Dä wollt desch nit anstecke. Es dann hi ken Blomevas?
All dat Jeld för de Blome, sagte Maria und versuchte zu lächeln. Hanni kam mit einem Eimer zurück. Die Vase wore ze kleen, sagte sie. He jehüre si och hin, und stellte
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