Das verborgene Wort
ich, meine Ungeduld mühsam unterdrückend, aber ich wußte, daß der Bruder mir damit etwas Liebes sagen wollte; wir hatten das Märchen oft gespielt.
Eine Kette mit einem goldenen Kreuzchen habe sie um den Hals getragen und ein hellblaues, gebauschtes Strickjäckchen. Genau und unbeteiligt wie eine Kamera nahm der Bruder die Welt auf, um sie scheinbar ohne Gefühl, ohne Wertung wiederzugeben.
Blank habe sie ausgesehen, blank wie die Großvaterkästchen, wenn sie neu bronziert waren. Blank war das Wort des Bruders für glücklich. Heribert habe ihre Hand gehalten, vielmehr, Maria habe Heriberts Hand gehalten, mit beiden Händen, doch als er, Bertram, hineinkam, habe Heribert seine Hand zurückgezogen, mit verzerrtem Gesicht und mühsam, so, als habe Maria nicht loslassen wollen. Maria sei weiß geworden und hätte ihn angesehen wie ein Gespenst. Da habe er sich nicht näher rangetraut, Heribert aber habe gelacht und ihn mit beiden Händen vors Bett gezogen.
Er habe ja Maria eine Überraschung versprochen, und hier sei sie nun, habe er gesagt, auf ihn, Bertram, gezeigt und laut gelacht. Maria aber sei in Tränen ausgebrochen, und die Frau im Bett neben ihr - der Bruder schob eine ausführliche Darstellung ihrer Gesichtszüge ein - habe die Zunge gegen den Gaumen geklickt und den Kopf geschüttelt! Maria, habe Heribert gesagt, wenn du weinst, muß ich gehen.
Aber ihr seid doch gerade erst gekommen, habe sie geschluchzt, und ihr Kopf sei jetzt ganz rot geworden.
Heribert habe seinen Schlips noch fester gezogen und bis zum
Zipfel nach unten gestrichen. Es sei ein breiter Schlips gewesen, beige mit grünen glänzenden Punkten, und der hätte Heribert in seinem weißen Hemd und dem braunen Anzug noch fahler aussehen lassen als gewöhnlich. Der Anzug... Ich räusperte mich. Der Bruder grinste. Alle Frauen hätten jetzt geschaut und die Köpfe geschüttelt, ein einziges Kopfschütteln sei das gewesen im ganzen Zimmer. Maria habe ihr Schluchzen unterdrücken wollen, aber das sei ihr schlecht gelungen, keine Luft habe sie mehr gekriegt und sich an den Hals gefaßt. So. Der Bruder griff sich an die Kehle, stülpte die Augen vor und ließ die Zunge aus dem Mundwinkel hängen. Bertram, schrie ich, und befriedigt fuhr er fort, daß Heribert daraufhin aufgesprungen sei, die Keuchende an den Schultern gepackt und gerüttelt habe. Maria habe aufgeheult, vor Schmerzen wahrscheinlich. Wenn der Bruder so eine Vermutung wagte, mußte es dramatisch zugegangen sein. Heribert habe sie losgelassen, als hätte er sich die Finger verbrannt. Maria sei in die hochgetürmten Kissen geplumpst, das gebauschte Strickjäckchen sei auseinandergefallen, und man habe das Nachthemd gesehen, links hoch, rechts tief. Nur sekundenlang, dann habe Maria das Jäckchen wieder zusammengerafft, die Hand in der blauen geflauschten Wolle liegen lassen und sich nicht mehr bewegt. Unheimlich habe sie ausgesehen, jetzt wieder schneeweiß, ohne jedes Rot, gespensterweiß, habe sie dagelegen, schlaff wie eine leere Luftmatratze. Heribert habe sich auf einen der knarrenden Stühle sinken lassen, ein Kind vom Besuch am Bett nebenan habe angefangen zu schreien, und da sei Heribert aufgesprungen und habe für alle hörbar gemurmelt, es gehe ja hier zu wie in einem Irrenhaus. Maria habe sich nicht mehr bewegt, nur die Augen stier auf die Tür gerichtet. Heribert habe noch am Bett gestanden, als eine Krankenschwester - Bertram konnte die ausführliche Beschreibung einer brünetten Mittdreißigerin in leicht angeschmuddelter Schwesternuniform nicht unterdrücken - mit Fieberthermometern gekommen sei und jeder Frau eines in den Mund gesteckt habe. Ganz still sei es jetzt im Zimmer gewesen, nur das Donnern einer Maschine vom Düsseldorfer Flughafen sei zu hören gewesen und dann wieder die Schritte der Schwester, die die Thermometer eingesammelt und die Zahlen in Tabellen überm Kopfende eines jeden Bettes einge-tragen habe. Aber Fräulein Labkasen, habe sie mit einem Blick auf Marias Temperatur gerufen, was haben wir denn da! Neun- unddreißigacht! Wir waren doch seit einer Woche fieberfrei. Na, das ist sicher die Freude, daß der Herr Verlobte endlich auch wieder gesund ist und Sie besuchen kann. Dabei habe sie neidisch und gierig den Mund gekräuselt, als wollte sie eine Praline hineinschieben. Als die Schwester nicht aufgehört habe, abwechselnd sie und Heribert anzublicken, habe Maria nur gelächelt und versucht, die Nachttischschublade aufzuziehen. Heribert sei ihr
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