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Das verborgene Wort

Das verborgene Wort

Titel: Das verborgene Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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den Eimer hinters Bett. Un schöne Jrüße vom Papa. Dä hölp dem Böckers Willi. Dä baut ene Stall.
    Wollt ihr ens Iure? fragte Maria und begann, ihr Nachthemd aufzuknöpfen. Ich machte einen Satz zurück, aber die Mutter hielt mich fest, und Maria sagte: Du bruchs ken Angst ze han. Do es nix ze sinn. Das stimmte.
    Maria war stolz auf ihre hübsche Figur. Als Mitte der fünfziger Jahre ihre Eltern und Hanni immer fetter und süßer zu essen begannen, die gute Butter und die Stollwerk-Pralinen, Sahne und Van-Houten-Kakao, in dem der Löffel steckenblieb, griff Maria zum Joghurt. Und wenn Hanni die Muzemändelsche ze Fastelovend im Öl schwimmen ließ, strich sich Maria Schichtkäse aufs Schwarzbrot.
    Noch letztes Jahr hatte ich sie im Badeanzug gesehen. Alle paar Wochen spazierten unsere beiden Familien sonntags nachmittags mit Kartoffelsalat, hartgekochten Eiern, Himbeersaft und für die Männer Bier an den Rhein. Ausflug machen, nannte man das, fast so schön wie Camping, was wir uns nicht leisten konnten. Dann saß man auf einer Decke und zog sich aus. Die Großmutter war - sunne Kokolores - zu Hause geblieben, Vater und Onkel zeigten haarige Brust unterm Netzhemd, Mutter und Tante enthüllten ihre Korsetts. Hanni trug etwas Dunkelgrünes, mit dem sie gleich ins Wasser sprang, um auf die andere Rheinseite zu schwimmen. Maria steckte in einem türkisfarbenen Etui mit groschengroßen weißen Punkten und einem wippenden Schößchen, das der Wind immer wieder von ihren Schenkeln löste. Beängstigend weiß und durchsichtig war der Busen aus den Schalen hervorgetreten, als könne er dort, wo klare, blaue Aderndie straff gespannte Haut durchzogen, bei der feinsten Berührung in Stücke gehen.
    Jetzt hielt Maria ihr Nachthemd mit beiden Händen auseinander, ihre Linke schien die linke Brust unter dem Hemd zu liebkosen, ihre Rechte krampfte sich um ein Stück Baumwolle. Auf das flache, weiße Quadrat aus Verbandszeug zu sehen, das mit braunen Heftpflasterstreifen auf der Haut klebte, tat weh. Ich konnte den Blick nicht lösen, starrte, bis mir die Tränen in die Augen traten. Keiner sagte ein Wort. Wir sahen Maria an, und sie sah uns an. Nu sach doch eener jet, sagte sie. Am Nebenbett verabschiedete sich mit Küßchen und Ermunterungen der Besuch, sichtlich erleichtert, das Ganze hinter sich gebracht zu haben. Die vom anderen Planeten lagen in den Kissen und dösten.
    Dat he, sagte die Mutter. Dat sin Pfirsische. Hart stellte sie das Glas auf den metallenen Nachtkasten neben Marias Bett, daß alle sich uns zuwandten.
    Die iß de doch jän, ergänzte die Tante mit einer Stimme, so dünn und brüchig, als könne sie mitten im Wort zerreißen. Ihre Hände umklammerten die Stuhlkante. Der Stuhl knarrte. Ich saß am Fußende des Bettes und rührte mich nicht. Hanni bückte sich nach der Tasche, hielt dann mitten in der Bewegung inne und richtete sich wieder auf. Ein harscher Blick gebot mir zu schweigen.
    Esch han et em Krüx, sagte sie, sich aufrichtend. Das war das Stichwort. Die Frauen erzählten von Krankheiten, eine schauriger als die andere. Alle hörten der Tante zu, bis das Keuchen im Bett hinter der Tür immer lauter und schneller wurde. Do muß doch eener die Schwester holle, unterbrach sich die Tante, Heldejaad, jank ens Iure, wo de Schwester es.
    Ich stürzte zur Tür, nur raus hier, stieß mit dem Schienbein gegen das Bett der röchelnden Frau, bückte mich nach dem Bein, da schoß unter der Bettdecke eine Hand heraus, packte die meine, umklammerte sie. Hä, hä, krächzte der Mund des Wesens. Ich schrie und versuchte, die Hand aus der Knochenzange zu ziehen. Die Verwandten sprangen auf, eine Schwester stürzte herein. Loslassen, Oma, rief die dicke Person, blond mit rotfleckigem Gesicht und der geschäftigen Munterkeit ihres Berufsstandes. Aber die Oma nahm nichts mehr wahr, nur meine Hand hielt sie fest. Ich schrie. Die Schwester gab mir eine Ohrfeige. Ich hörteauf zu schreien. Dann klatschte sie den gelben Schädel, daß ich dachte, der Kopf flöge gleich wie ein Kegel an die Wand. Er schlug aber nur auf die Seite und lief dunkelblau an. Aber die Hand hielt meine fest; ich reglos wie die im Bett, fühlte das Blut aus meinen gequetschten Fingern weichen, als schliefen sie ein. Oma, schrie die Krankenschwester und schüttelte den klammernden Arm. Der fiel fast aus seinem Schultergelenk, aber die Hand ließ die meine nicht los. Bleiben Sie bei dem Kind, sagte die Schwester zu meinen Verwandten, als hätten die

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