Das verborgene Wort
bescheret hast<.
Gar nichts fehle mir, sagte ich und hielt das Gesicht länger als sonst in den beißenden Strahl aus dem Gummischlauch, der dem Messinghahn aufgesteckt war. Ich dachte nicht daran, mich ihren Spielregeln zu unterwerfen, den Spielregeln der Frauen, von Mutter und Großmutter, Tanten, Cousinen und Nachbarinnen. Mich kriegten sie nicht.
Erst in der Straßenbahn auf meinem Platz am Fenster, den vertrauten Sensenstiel in meiner Hand, fühlte ich mich wieder sicher. Ah, dieses befriedigte Zucken, als ich einem jungen Mann mit dünnem Stock, dessen flinke Hand platt wie gelähmt auf der Brust lag, den Leib durchschnitt, dieser Abgrund von Stille, der mich belohnte! Er hatte mich nicht verlassen.
Zwei, drei Tage darauf kam ich früher als gewöhnlich nach Hause. Die letzten Stunden waren ausgefallen. Reibekuchenduft schlug mir entgegen. Die Mutter hantierte am Ofen mit der schweren Eisenpfanne. Auf dem zugeklappten Elektroherd - die alte Frau Bürgermeister hatte ihn ausrangiert, doch Strom war teuer - standen zwei Schüsseln, die eine mit dem Teig, die andere für die fertigen Kuchen. Am Küchentisch saß die Tante, aß und weinte, netzte die fettigen Plätzchen, die sie mit Rübenkraut bestrich.
Eß, Berta, eß. Du mußt dojäjen anesse, hörte ich die Großmutter am anderen Ende des Tisches.
Heldejaad, schluchzte die Tante, kumm ens bei mesch. Du bes doch jitz ald jruß. Die Großmutter knurrte, sie hatte noch nicht verziehen, daß ich mich ihr an meinen ersten Tagen entzogen hatte, aber die Mutter setzte mir einen Teller Reibekuchen vor. Loß dat Kenk doch esch ens esse, sagte sie. Däm verjeht doch sös bloß dä Appetit. Die Tante schluchzte auf und steckte einen Kuchen in den tränenfeuchten Mund. Hastig verschlang ich meine
Portion, die Plätzchen waren zu schwach gesalzen, und es fehlten die Zwiebeln. Das war der Mutter noch nie passiert.
Dat Maria..., die Tante wischte sich mit dem Handrücken Rübenkraut und Fettreste vom Mund, schob den Teller beiseite und schneuzte sich. Dat Maria war ihre ältere Tochter; die brave, die fromme, die im Kirchenchor sang, mit dem Jungfrauenverein nach Kevelaer pilgerte, Exerzitien machte und Joghurt aß.
Diese Maria, Cousine Maria, hatte Krebs. De Brust, keuchte die Tante und starrte der Mutter, der Großmutter, mir ins Gesicht, dä Knoten is schon wie eine Mandarine, sacht dä Dokter, sagte die Tante, esch könnt se schon fühlen.
Berta, schrie die Mutter und schlug die Hände vors Gesicht. Der Reibekuchen kratzte im Hals. Ich goß mir ein Glas Milch ein. Noch eins.
Et muß direck en de Städtische no Düsseldörp, sacht dä Doktor. Wenn die Tante sich bemühte, hochdeutsch zu sprechen, wurde sie mir unheimlich. Erleichtert hörte ich, als sie auf Kölsch fortfuhr, was es nun alles zu besorgen gebe, Nachthemden und Bettjäckchen, einen Morgenmantel und neue Pantoffeln, un dat alles bes moje fröh.
Wo bliev do de Gereschtischkeit, seufzte die Großmutter und verdrehte die Augen zum Kreuz in der Ecke; kramte im Vertiko und ersetzte das Tellerchen mit Ol durch eine dicke, kurze Kerze, verziert mit einem strahlenbekränzten Lamm Gottes, in der rechten Vorderpfote eine Fahne. Die es vom Ohm jeweiht, sagte sie und zündete die Kerze an. Mutter und Tante nickten ehrfürchtig, beinah getröstet.
Ein Vater unser< und drei >Gegrüßet seist du, Maria< beteten wir, dann holte die Mutter ihr Bettjäckchen, das sie seit der Geburt des Bruders nicht mehr getragen hatte, und gab es der Tante. Wenn et dat Minsch us Miesbersch wör, dat hät kenne jewundert. Ävver dat Maria, nä, nä, räsonierte die Großmutter. Das Minsch us Miesbersch aber erfreute sich trotz lackierter Fingernägel und blondierter Haare, mit Zigarettenspitze und ohne Gatten bester Gesundheit.
Anders als damals, zu Hannis Kummer um Ferdi, fiel mir zu Marias Unglück nichts ein. Meinen Büchern auch nicht. Dort starben arme Frauen an Hunger, Auszehrung, Seuchen; Besser-gestellte raffte das Kindbett oder hitziges Fieber hinweg; adlige Damen brachten es fertig, an gebrochenem Herzen dahinzuscheiden, schon ein mondscheinkühler Spaziergang reichte aus. An Brustkrebs erkrankten die Frauen nie.
Maria war fünfundzwanzig, ihre Verlobung mit Heribert Engel, der die Elektrohandlung seines Vaters übernehmen würde, konnte nun, kurz nach Ostern, endlich gefeiert werden. Dann war das Trauerjahr für Heriberts Mutter vorbei. Brustkrebs. Sie war nur bis ins Möhlerather Krankenhaus gekommen. An dem Ännschen
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