Das verborgene Wort
wo Sie hingehören? Da gehören Sie doch einfach nicht dazu! Beide Handflächen nach oben gekehrt, streckte mir der Prokurist seine Arme entgegen, als wolle er mich ergreifen und über den Tisch ziehen.
Ich wich zurück.
Der Prokurist verschränkte die Arme wieder vor der Brust. Überlegen Sie sich, wo Sie hingehören! Beizeiten! Einem Wink seiner Hand entnahm ich meinen Abschied. Auch mochte er einen Knopf gedrückt haben, denn die Tür sprang auf, noch ehe ich sie erreicht hatte, flog mir entgegen und wieder hinter mir zu.
Wat hät he jewollt? wollten die Frauen wissen.
Dat weeß dä sälver nit, erwiderte ich in breitestem Kölsch. Dä Drisskääl.
In diesem Jahr bekam ich keine Einladung zum Kindergeburtstag bei dem Fabrikanten. Der Bruder auch nicht. Wir kriegten nie wieder eine.
Meinen Rücken an die Wand des Hühnerstalls gelehnt, die seit Wochen die Sommerhitze gespeichert hatte, teilte ich mir mit Pankraz, dem Schmoller, Dietigen und dem feinen Gretli einen Teller dunkelsüßer Kirschen und die Abendsonne bis zum Untergehen. Von Grafen und Baronen und ihrem dazugehörigen Hausstand mochte ich heute nichts wissen. Nichts von Levkojen und Reseden, Rosen- und Lilienbeeten, von Entenjagden und Teichen im Mondschein, Kieswegen und Kutschen. Nichts von Männern, die zum Zeitvertreib auf die Pirsch gingen, über die Felder ritten oder Madame zu erlesenen Soupers führten. Nichts von Damen, die in zarten Händen noch zartere Stickereien hielten, ins Musselintüchlein schnupften, alleweil von Lungensucht und Liebeskummer bedroht.
An diesem Abend wollte ich es mit Menschen zu tun haben, die ihren Lebensunterhalt selbst verdienten mit ihrer Hände Arbeit. Ob es nun Tuchscherer, Knopfmacher, Kupferschmiede, Schuster, Schneider oder Kammacher waren. Ich wollte bei den Frauen sein, die sich und ihre Kinder mühsam und redlich durchbrachten, Witwen mit kleinen Äckern, auf denen Kartoffeln wuchsen, Kohl und Bohnen, die sich mit dem Spinnrad Brot und Butter verdienten, in herrschaftlichen Häusern die Wäsche wuschen, Beeren und Reisig sammelten und in reinlichen Körbchen und Bündeln wohlfeil verkauften. Ich hatte seit dem letzten Sommer nichts mehr von ihnen gehört. Es war ein großes Familientreffen. Da stießen John Kabis und Herr Adam Litumlei aufeinander, Vicki Störteler traf auf den Schulmeister Wilhelm und nahm die Ketta zur Braut, Jukundus und Justine verloren ihr Lachen und fanden es wieder, und zum Schluß legte Spiegel, das Kätzchen, den Stadthexenmeister Pineis herein. Ja, wir Frauen hatten Herrn Dr. Luchs den Schmer abgekauft, und sonnig und wonnig waren uns die Wespen, oder waren es Hornissen, zu Hilfe geeilt. Zauberei? Wir hatten sie zu nutzen gewußt. >In deiner Brust sind deines Schicksals Sterne.<
Mit Peter von etwas anderem als von Pflanzen zu reden, machte ich nie wieder den Versuch. Sprachen wir nicht über Pflanzen, sprach ich mit ihnen. Peter langweilte mich nie. Ich vergaß ihn einfach. Das Buch sank ihm in den Schoß, die Lippen standen leicht geöffnet, über der geraden Nase schaute sein Auge unbeirrt auf die andere Rheinseite. Ich neben ihm, so nah, so weit, daß wir einander nicht berührten, in den Anblick unserer Pflanze versunken oder des Himmels, bis ihrer beider Schönheit durch mich hindurchfloß, ziellos, zwecklos, aufgesogen von der Weichheit einer Osterluzei, verwoben in ihren Kurven und Beugen, verloren im Gewirr der Rispen vom Scharbockskraut, weit gestreckt in die Krümmungen der Schlingen einer Ackerwinde, die sich um meinen Daumenballen schmiegte.
Nur einmal hatte er meine Hand ergriffen. Versunken in einen Kartoffelacker, gefangen vom Aufbau dieses Nachtschattengewächses von der Blüte bis zur Knolle, hatten wir das Gewitter nicht herankommen hören, bis uns ein kalter Windstoß traf, der schon feuchte Luft vor sich hertrieb. Wie oft hatte ich mir ein Gewitter mit Sigismund ausgemalt, sogar den Ort dafür schon ausgesucht, Karrenbroichs Heuschober zwischen Notstein und Kapellchen. Im >Almanach für die Dame< - das Buch hatte mir die alte Frau Bürgermeister für einen Eimer Brombeeren geschenkt - hatte ich die Geschichte von einer Liebesstunde im Heu gelesen, und obwohl die Beteiligten und deren Verwandte Namen hatten, die man kaum auseinanderhalten, ja ein und dieselbe Person fünf verschiedene Namen haben konnte, fühlte ich mich von der unter dem heißen Himmel Weißrußlands spielenden Geschichte zur Nachahmung angespornt. Hand in Hand hätten wir im Eingang des
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