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Das verborgene Wort

Das verborgene Wort

Titel: Das verborgene Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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Auge.
    Beim Maternus. Pelle packe.
    Dat is jut, sagte der Hölldorfer, dat is saubere Arbeed.
    Jo, dat es wohr. Un wat deis du?
    Esch ben op däm Bau. Beim Bräuers Will em Jrußeveil.
    Dat is jut. Do jütt et jet hi. Ich rieb Daumen und Zeigefinger gegeneinander. Un hi, ich winkelte den rechten Arm an und drückte mit der Linken spielerisch zu.
    Jo, sagte der Hölldorfer, dat is wohr, fletschte seine starken Zähne, riß sich das Sakko vom Leib, rollte den Hemdsärmel hoch und ließ seine Muskeln hüpfen wie junge Mäuse. Kanns de och ens anpacke, sagte er stolz.
    Ohne zu sehen, sah ich, daß Peter uns mit seiner Aschblonden in Richtung Fischbude gefolgt war. In den Geruch tagealten Öls, in dem panierte Rotbarsch- und Seelachsfilets brutzelten, bis sie qualmten, in den Geruch nach Zwiebelringen, gebraten und roh, nach Rollmops, Brat- und Bismarckhering. Peter lehnte an der
    Schießbude. Da griff ich zu und stöhnte ein so lautes, bewunderndes >Oh<, daß Peters Schuß nach oben losging, als er sich umdrehte. Schimpfend stürmte die Frau, in Westerntracht und Cowboystiefeln, hinter der Theke hervor, entriß Peter die Flinte und verschwand wieder in ihrem Kasten. Die ganze Zeit über hielt ich die zuckenden Muskeln des Hölldorfers fest umspannt und fixierte Peter, bis ich seine in meine Augen zwang. Da ließ ich den Hölldorfer Oberarm los und kehrte Peter den Rücken.
    Der Hölldorfer kaufte ein Bratfischbrötchen mit Mayonnaise für mich und ein Heringsbrötchen mit Zwiebelringen für sich. Nebenan kramte Peter in den Lebkuchen und kaute gebrannte Mandeln. Das Mädchen kicherte, als es die süße Aufschrift las, und drehte das Herz auf die falsche Seite. Vermutlich >Ewig Dein<. Mit vollen Backen lächelte ich meinem Hölldorfer zu, Peter, der sich bedächtig eine Mandel nach der anderen zwischen die Lippen steckte, keine Sekunde aus den Augen lassend. Der Hölldorfer kaufte sich ein zweites Fischbrötchen, mit doppelter Zwiebelportion. Peter und das Mädchen gingen in Richtung Raupe. Ich zupfte den Hölldorfer am Muskelarm. Er knurrte. Fast wäre ihm sein Brötchen aus der Hand gefallen. Als wir zur Raupe kamen, sah ich Peter und das Mädchen den Kirmesplatz verlassen und zwischen den Wohnwagen verschwinden. Die Hand des Hölldorfers fühlte sich glitschig an, als ich ihn hinter mir herzog.
    Do wills de met mer hin, grinste er geschmeichelt. Ich nickte aufgeregt. Wo war Peter geblieben? >Junge Menschen brauchen Liiiebe<, quiekte die Frauenstimme von der Raupe bis hinter die Spielbuden, wo der Hölldorfer meine Arme umklammerte, so wie der Vater, wenn ich als Kind nicht parieren wollte. Unter dem Anprall seines essig- und ölverschmierten, heringsdurchfeuchteten Mundes platzten meine Lippen auseinander, seine Zwiebelzunge fuhrwerkte in meiner Mundhöhle herum. Sein Schrei ließ in den Wohnwagen alle Lichter aufflammen, ein paar Türen flogen auseinander. Wie alle Schuhe der Familie hatte der Vater auch meine ersten Pomps - gegen meinen Protest - haltbarer gemacht und Eisenwinkel auf Absätze und Spitzen geklopft. Ich erwischte den Hölldorfer zweimal.
    Zuerst vors Schienbein, eisenhart, dann ein Stück höher, mit- ten ins Weiche. All meine Wut auf die ekligen Wörter, Rute, Schwanz, Hoden, das Wort von der Scheunenwand und das mit dem Bierflaschenknall legte ich in diesen Tritt, der mir die steif gestärkten Unterröcke aufrauschen ließ, Ballerina im luftigen Spagat. So schnell, wie er zugepackt hatte, ließ der Hölldorfer los. Ich raste davon, obwohl er, schmerzgekrümmt, keine Anstalten machte, mich zu verfolgen.
    Ich putzte mir die Zähne, bis das Zahnfleisch wund war. Sobald ich an Küssen dachte, von Küssen hörte oder las, stellte sich ein Geschmack von rohen Zwiebeln und Rollmops ein und das Gefühl des Fußtritts ins Weiche. Die Angst vor den ekligen Wörtern war kleiner geworden. Ich hatte eine große Wut auf den Ingenieurssohn. Und Sehnsucht nach Sigismund.
    Als ich am Sonntag nach dem Hochamt aus dem Nebeneingang drängte, spürte ich eine rauhe, trockene Hand, die mir die Finger aufbog und wieder zusammendrückte. Peters Rücken schob sich schräg durch die Tür nach draußen. Vor mir der dicke Fenger, neben mir an zwei Krücken ein Knecht vom Bauer Karrenbroich. Peter war weg. In meiner Hand hielt ich ein auf Streichholzschachtelgröße zusammengeknifftes Blatt Papier. >Ich hätte nie geglaubt, daß du auf die Kirmes gehst<, stand da in steif gemalten Buchstaben. Wütend knautschte ich den Zettel

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